Orang Utan
Text und Fotos: Birgit Roth
24.06.2018
Ich habe einen Orang Utan getragen...
… in meinen Gedanken. Einer meiner innigsten Wünsche ist es, sie in ihre Zukunft zu tragen. Ich wünschte wir Menschen beenden endlich den Raubbau an ihrem Lebensraum.
Ursprünglich waren sie in ganz Asien verbreitet, jetzt gibt es sie nur noch auf zwei indonesischen Inseln: Borneo und Sumatra.
Orang Utans sind wie andere gefährdete Arten auch, unschuldige Opfer von Bevölkerungswachstum, Machtkämpfen und Habgier. Sie sind die Leidtragenden eines weltumspannenden unersättlichen Wirtschaftssystems, ohne Befriedigung zu schaffen. Dieses Wirtschaftssystem weckt Bedürfnisse, die niemanden glücklich machen. Zusammen mit den anderen großen Menschenaffen sind die Orang Utans unsere nächsten lebenden Verwandten. Wir haben zu 97% identische Gene. Mehr als andere Tierarten erinnern sie uns daran, dass wir Bestandteil der Natur sind. Indem wir zusehen, wie die großen Menschenaffen ihrer Ausrottung entgegen gehen, werden wir Zeugen unserer eigenen Zukunft auf einem immer ungastlicher werdenden Planeten. Wenn wir etwas unternehmen, um unsere nächsten Verwandten und ihre Lebensräume in den Tropen zu retten, tun wir den ersten Schritt zu unserer eigenen Rettung.
Zusammen mit der Zerstörung der Meere berauben wir uns systematisch unserer Lebensgrundlage. Mit den Wäldern verschwinden ganze Ökosysteme und die darin lebenden Tiere.
Die drei großen Primaten, Gorillas, Schimpansen und Orang Utans sind symbolträchtig, denn nur wenige würden sich daran stören, wenn Wissenschaftler und Naturschützer darüber klagen würden, dass eine bestimmte Insektenart am Aussterben ist. Große, faszinierende und hübsch anzusehende Tiere, wie kürzlich das letzte männliche verstorbene nördliche Breitmaulnashorn, mobilisiert schon eher einen Aufschrei, dem hoffentlich auch Taten folgen.
So ein großes Tier ist eben auch der Orang Utan. Für ihn ist es Fluch und Segen zugleich. Segen: es werden viele Kräfte mobilisiert, um die Tiere doch noch vorm Aussterben zu bewahren. Fluch: durch ihr niedliches Aussehen, gerade im Kleinkindalter, werden sie immer noch gejagt, auf dem Schwarzmarkt verkauft und als Haustiere gehalten. Obwohl sie seit Jahren streng geschützt sind.
Es zieht uns immer wieder hin in die Wälder Asiens. Warum ausgerechnet dort hin, kann ich nicht sagen, vielleicht ist es eine liebgewonnene Gewohnheit. Vor Jahren reisten wir durch Malaysia und lernten den Wald überhaupt erst einmal kennen. Wir wurden begleitet von engagierten Guides, die uns Dinge zeigten, die wir allein nicht bemerkt hätten. Sie brachten uns die Schönheiten ihrer Heimat nahe und steckten uns mit ihrer Begeisterung an.
Damals besuchten wir unter anderem die Orang Utan Auswilderungsstation Sepilok im Norden von Borneo. Sie gaben uns Einblicke in ihre Arbeit und der Höhepunkt für uns war natürlich das Beobachten der täglichen Fütterung. Wir mussten alle unsere Sachen, außer der Kamera im Auto lassen. Ein komisches Gefühl selbst die Reiseunterlagen, Geld und Pässe einem Fahrer zu überlassen, den wir gerade erst eine halbe Stunde kannten. Instruiert die Tiere nicht anzufassen und ihnen die Kamera zu geben, sollten sie sich dafür interessieren, liefen wir los. Wir Menschen gingen auf Holzbohlenwegen bis zu einer Plattform, die Affen hangelten sich durch den Wald. Es war ein erhebendes Gefühl diese imposanten Tiere zum Greifen nahe ohne Käfig, Netz und doppelten Boden, erleben zu dürfen. Ihr Erscheinen war freiwillig, sie lebten schon relativ selbstständig im Wald und kamen nur zur Fütterung, wenn sie im Wald nicht genug fanden. Um so glücklicher schätzten wir uns, dass sie uns den Gefallen taten und zahlreich erschienen. Was für ein schöner Moment in unserem Leben und ab diesem Tag wollten wir nur noch eins: sie schützen.
Seit dieser Begegnung sind wir sensibilisiert für das Schicksal der großen roten Waldmenschen, was Orang Utan übersetzt heißt.
Irgendwann kaufte ich ein Buch von dem mir hochgeschätzten, leider viel zu früh verstorbenem, Roger Willemsen. Das Buch enthielt Kurzgeschichten. Und gleich die erste war unglaublich. Auf einer Asienreise bekam er einen jungen Orang Utan in den Arm gedrückt, den er im Camp einer Forscherin abgeben könne. So reiste er erst per Flugzeug und dann per Boot in das Camp Leakey von Birute Galdikas. Unterwegs hatte der Affe seine Krankheiten auf Roger Willemsen übertragen und sie mussten gemeinsam zum Arzt.
Und wer ist nun Birute Galdikas? Ich hatte bis dahin diesen Namen noch nie gehört. Das heißt ja nichts, nur komisch in meinem Fall, werfe ich doch schon länger besorgte Blicke auf die Spezies der Orang Utans.
Prof. Dr. Birute Mary Galdikas lernt Ende der 60iger Jahre den Anthropologen Louis Leakey kennen. Er war der Förderer von Jane Goodall (Schimpansen) und Dian Fossey (Gorillas) und sie fragte ihn direkt, ob er ihr helfen könne ihren Traum zu verwirklichen in Indonesien die bis dahin völlig unerforschten Orang Utans zu studieren. Die dritte im Bund der nun drei großen Primatenforscherinnen sollte Birute Galdikas werden. 1971 war es soweit. Sie brach auf um zusammen mit ihrem damaligen Mann und der Unterstützung Louis Leakeys in Borneo im Tanjung Puting Reservat das Camp Leakey zu gründen.
Kein Forscher vor ihr brachte die nötige Geduld auf diese Tiere zu erforschen. Wissenschaftler hatten berichtet, die tief in den Wäldern Borneos und Nordsumatras lebenden großen roten Menschenaffen seien Einzelgänger und begegnen nur selten anderen Angehörigen ihrer Art. Geselliges Leben ist eines der Hauptmerkmale, die uns Primaten auszeichnen, warum weicht der Orang Utan davon ab? Bis in die 60iger Jahre hatten nur wenige Naturwissenschaftler einen in freier Natur lebenden Orang Utan auch nur zu Gesicht bekommen. Mitte der 60iger Jahre brachte es R.K. Davenport in elf Monaten in Sabah (Malaysia) zu nur 92 Beobachtungsstunden und gab frustriert auf. So blieb der Wissenschaft nichts weiter übrig, als am Bild der roten Menschenaffen festzuhalten die allein durch die riesigen Wälder Borneos und Sumatras streifen, unsichtbar für den Beobachter. Sie hatten den mythischen Ruf, unerforschbar zu sein.
Die Tiere hangeln sich lautlos, in 30 Meter Höhe durch die Baumwipfel des Regenwaldes. In den ersten Wochen sah auch Birute Galdikas nicht ein einziges Tier. Der Regenwald ist brutal anstrengend, heiß und nass. Die Feuchtigkeit wird schnell zur Last, sie durchdringt einfach alles. Das Gelände ist unwegsam, bei ihrer Suche nach den größten auf Bäumen lebenden Säugern stand sie oft stundenlang bis zur Hüfte im Moorwasser. Neben der Nässe ist das zweite unverkennbare Merkmal des Regenwaldes das unaufhörliche laute Zirpen der Zikaden. Jedoch die meisten im Regenwald lebenden Insekten und dort heimischen Pflanzen wurden noch nie von Wissenschaftlern beschrieben. In der Fülle seiner Geheimnisse ist der Regenwald mit dem dunklen Boden des Ozeans vergleichbar.
Ein Beispiel: es gibt Feigenbäume, die nur von bestimmten Wespenarten befruchtet werden können, keiner der Partner kann ohne den anderen überleben und sich fortpflanzen. Und genau das ist das Problem, wenn der Wald weiter abgeholzt wird. Die gegenseitige Abhängigkeit von Tier- und Pflanzenwelt scheint nirgends so deutlich wie im Regenwald. Wie sollen solche speziellen Symbiosen wieder aufgeforstet werden? Vermutlich kennen wir davon sowieso nur einen Bruchteil. Die bloße Vielfalt des Lebens, der Erfindungsreichtum der Evolution ist überwältigend, oder? Der tropische Regenwald ist das Komplexeste, was wir Menschen auf unserem Planeten erleben können.
Birute Galdikas rettet bis heute illegal gehaltene Orang Utans und ermöglicht ihnen ein Leben in ihrem natürlichen Lebensraum. Sie verhandelte mit Holzfirmen, dessen Motorsägen immer bedrohlicher dem Camp Leakey näher rückten. Heute ist dieser Wald geschützt als Nationalpark Tanjung Puting. Wenn wir die Orang Utans vorm Aussterben bewahren wollen, müssen wir in erster Linie ihren Lebensraum erhalten. Bis vor ca. 70 Jahren war der Regenwald rund um den Äquator so gut wie unberührt. Wir Menschen holzen seit den 60iger Jahren den Regenwald ab, in dem Irrglauben diese Flächen sinnvoller nutzen zu können.
Wenn wir so weiter machen, wird es keine weiteren 70 Jahre mehr dauern, bis wir den Regenwald vollständig von unserer Erde entfernt haben. Oder so dermaßen verkleinert, dass er als Lebensraum für Orang Utans nicht mehr taugt. Um sich rund ums Jahr ernähren zu können brauchen die Tiere große, zusammenhängende Waldgebiete in denen Bäume wachsen, die zu den unterschiedlichsten Jahreszeiten ihre Früchte tragen.
Durch immer kleiner werdende Waldgebiete erhöht sich die Zahl der darin lebenden Tiere. Und treten dann noch ungewöhnliche Wetterphasen, wie eine längere Dürre auf, gibt es im Wald nicht genug Futter für eh schon zu viele Tiere in einem Gebiet. Somit werden die roten Waldbewohner Opfer des menschlichen Eingriffs in die Biodiversität. Somit wird ihr Schicksal zum Symbol möglicherweise aller Tierarten, einschließlich unserer eigenen Art.
Jetzt, fast 50 Jahre nach dem Beginn ihrer Forschungen hat Prof. Dr. Birute Galdikas Einiges an Ergebnissen vorzuweisen. Sie ist geblieben, hat mit unglaublicher Hartnäckigkeit ihren Lebenstraum, die Orang Utans zu erforschen, verfolgt. Sie hat die „Orangutan Fondation International“ OFI gegründet und betreibt mit ihrem 2. Mann Pak Bohap eine Aufzuchts- und Auswilderungsstation für verwaiste Orang Utans und fördert wissenschaftliche Arbeit im Camp Leakey. Als anerkannte Expertin und engagierte Artenschützerin setzt sie sich konsequent für die Belange der gefährdeten Waldmenschen ein.
Den drei großen Frauen der Primatenforschung verdanken wir bahnbrechende Erkenntnisse und Louis Leakey wäre sicherlich stolz auf sie.
Warum nimmt sich eine Wissenschaftlerin wie Birute Galdikas die Zeit, Touristen durch den Wald zu begleiten? Dazu sagt sie, die Menschen kommen, um die Orang Utans zu sehen. Es sind im Gesamtplan des Lebens auf unserer Erde Frösche, Käfer, Vögel genauso von der Ausrottung bedroht, jedoch sprechen sie nicht so zu unseren Herzen, wie die großen, scheuen Waldmenschen. Und da im Camp Leakey an Menschen gewöhnte Tiere leben, die bei deren Anblick nicht augenblicklich das Weite suchen, können wir Besucher sie in ihrem natürlichen Lebensraum beobachten. Es ist einer der wenigen Orte, wo sich Menschen und Orang Utans auf Augenhöhe begegnen. Ich glaube niemand, der Camp Leakey besucht hat, sagt Dr. Galdikas, lässt die Not der Orang Utans gleichgültig und niemand könnte die Öffentlichkeitsarbeit für die roten Riesen besser leisten, als wir, die Besucher.
Wir waren solche Besucher und sie haben zu unseren Herzen gesprochen. Sie haben uns berührt, mit ihren Händen und Füßen. Mit ihren Augen haben sie direkt in unsere Seele geblickt. Sie können nicht mit dem Mund sprechen, wir haben sie dennoch verstanden. Es war einfach überwältigend so dicht Seite an Seite mit diesen sanften Wesen sitzen zu dürfen. Wir waren im legendären Camp Leakey, durften mit Dr. Galdikas durch den Wald streifen. Besuchten verschiedene Futterstellen, die Waldfrüchte reichen nicht, um alle Orang Utans satt zu bekommen. Wir besuchten das Carecenter, die Aufzuchtstation. Dort leben zur Zeit 300 Orang Utans. 100 könnten ausgewildert werden, nur wo? Es fehlt der Wald. Sie schauten aus ihren Käfigen und wir fühlten, wie ihre Blicke uns durchbohrten. Und wieder saß ein frisch gerettetes Jungtier in der Quarantänestation, was wird aus ihm, wenn es groß ist?
Aber auch die goldigen Malaienbären werden gerettet, aufgezogen und frei gelassen. Gibbons, Makaken, wer Hilfe braucht, bekommt sie auch.
Wir sprachen mit Dr. Galdikas über die Gründe für den schwindenden Wald. Ein Hauptproblem ist der Palmölanbau. Und um es gleich vorweg zu nehmen. Alle Firmen die sich damit raus reden sie verwenden ausschließlich biologisch angebautes Palmöl mit einem RSPÖ Siegel, lügen sich selbst und uns Verbrauchern in die Tasche. Wir kaufen seit Jahren keine Produkte mehr, welche Palmöl enthalten und sind der Beweis, dass das möglich ist. Allerdings glaube ich, wenn wir hier in der westlichen Welt ein paar Schritte rückwärts gehen würden und uns von diesem unglaublichen Überfluss, in dem wir leben, lösen könnten, dann kämen wir dem Ziel die Natur nicht länger so gnadenlos zu zerstören einen großen Schritt näher. Eigentlich wollen wir doch alle mit der Natur, in der Natur leben.
Der OFI - Orang Utan Fondation International benötigt im Monat 110 000 Dollar um das Carecenter zu betreiben, die Fütterungsplattformen zu füllen, das Personal zu bezahlen, was dafür notwendig ist. Es gibt Sicherheitspersonal was Vogel- und Holzdiebe von ihrem Tun abhalten soll. Es muss auch mal ein Auto oder ein Boot gekauft werden, Tierärzte und Rettungsteams mit Arbeitsmitteln und Kleidung ausgestattet werden. Solange solche Organisationen nötig sind, müssen wir uns anstrengen, damit sie nie ohne Geld dastehen werden.
PS.: Dr. Galdikas erinnerte sich auf unsere Frage hin an den großen, smarten Roger Willemsen, der ihr vor 30 Jahren einen Orang Utan gebracht hatte. Der Kleine überlebte, wurde Roger genannt und vor sehr vielen Jahren ausgewildert.
Erika (Samstag, 21 Juli 2018 18:42)
Es ist herrlch, einen so fundierten Artikel ueber die Forschungsarbeit von Birute Galdikas zu lesen. Sie bildet mit den zwei anderen Forschern, Jane Godall und Dian Fossey das beruehmte Trio der “Trimates”.
Jane Goodall ist zustaendig fuer Schimpanzen. Diane Fossey fuer Mountain Gorillas und Birute Galdikas fuer Orang Utans. Was diese Wissenschaftlerinnen fuer die groessten Primaten leisten und leisteten, ist ausschlaggebend gewesen.
In Borneo kaempft Prof. Dr. Birute noch immer gegen Logging, Goldmining und den verbotenen Handel mit Orang Utang Babies.
Ich bedanke mich fuer den ausfuehrlichen Bericht und die begeisternde Schilderung der Begegnung und Gespraeche der Autorin, mit Birute Galdikas. Die wunderbaren Aufnahmen sprechen Baende.
Alex Tropical-Freaks (Sonntag, 15 Juli 2018 13:31)
schöner Bericht, Birgit. Kommt gerade recht, da wir selber gerade auf dem Weg nach Sandakan sind. Bin mal gespannt ob ich meine Kamera behalten darf. Wenn ja, mach ich ein schönes YT Video. Beste Grüße