Weinbergschnecken
Text und Fotos: Markus Putzgruber
19.06.2016
"Er trat mal unabsichtlich auf eine Schnecke und hatte mit ihrem Tod schwer zu kämpfen. Daher kam ihm die Idee, die Schnecken anzumalen. Er sieht sie jetzt genau, jede hat einen Namen und alle
leben seit Jahren bei ihm.
Irgendwie war mir die Kehle zugefroren. Für solche Augenblicke lohnt es sich zu leben, für mich war das wirklich ein unsagbar schöner Moment ....... "
Wusste nicht, dass Schnecken ihr Haus wieder reparieren können
Text und Fotos: Barbara Stockhaus
19.06.2016
"Der Mensch zertritt die Schnecke achtlos
die Schnecke ist dagegen machtlos
zu spät erst kann sie im Zerknacken
den Menschen beim Gewissen packen“
Eugen Roth
Es gibt dieses gruselige Geräusch wenn man morgens, abends oder nach dem Regen durch den Garten läuft, man kann noch so achtsam sein, plötzlich krrrrch und man weiß, eine Schnecke wurde ihrer
Wohnung beraubt.
Wenn man auf eine Weinbergschnecke tritt ist es besonders dramatisch.
Was tun? Kann sie so leben?
Ein Knirschen unter meinem nicht ganz aufgesetzen Fuß verriet mir einen schnecklichen Unfall . Ich nahm die verletzte Weinbergschnecke auf, machte mehrere Fotos und konnte so erkennen, der Mantel
ist nicht verletzt, in kleinen Bruchstücken war der Großteil des zerstörten Hauses auf dem Tier.
Madamchen war wütend, sie hat geschäumt wie nur eine Schnecke es kann.
Mit einer Pinzette habe ich vorsichtig alle Teile entfernt, nur das Größte auf ihr belassen, es gab keinen Anhaltspunkt wie dieses Stück liegen musste.
Die Schnecke zog die Augenstiele ein, ein Zeichen, dass es ihr unbehaglich war, kein Wunder, hab ich sie doch innerhalb von Sekunden fast obdachlos gemacht.
Frau/Herr Weinberg kam auf eine Schicht Rasenkalk ins Terrarium, Löwenzahn deckte sie zu, Brennnesseln waren auch vorhanden. Beides sind wichtige Calciumlieferanten. Es ist feucht im Terrarium, damit der Mantel nicht austrocknet, denn darunter befindet sich die Lunge, auch warm hatte sie es jetzt.
Schnecken können Kalk aus der Nahrung aufnehmen mit entsprechenden Drüsen am Mantel baut und reparieren sie ihr Haus. Bei solch starken Zerstörungen ist es wichtig, die Schnecke auf eine Schicht
Kalk zu setzen, 95%iger Rasenkalk ist super, feingemahlene Eierschale auch.
Weinbergschnecken können Kalk auch mit dem Fuß aufnehmen, sie geben Kohlendioxid über die Sohle ab, dies säuert den Schleim an und der Kalk kann aufgenommen werden.
Sie wachsen täglich, das kann man an den feinen Rillen erkennen, hatten sie eine kalkarme Zeit, also auch weniger kalkhaltige Futterpflanzen, dann sieht man dies an Unregelmäßigkeiten am Haus.
Nach ungefähr 10 Stunden war der größte Bereich des Schneckenhauses repariert, perfekt, ich war sprachlos, hatte ich doch aus Erfahrung mit anderen Schneckenarten mit 3 Tagen gerechnet.
Heute sollte Frau/Herr Weinberg eigentlich in die Freiheit zurück, aber die Fotos zeigten noch nicht die vollständige Reparatur.
Morgen allerdings öffne ich ihr die Tür, sie kann riechen wo sie Zuhause ist, im Terrarium ist sie jetzt fast bewegungslos, alles weitere kann auch in Freiheit geschehen.
Was braucht ihr in einem ähnlichen Fall?
Zuerst wird das Tier begutachtet, alle Verletzungen des Hauses von der Mündungslippe bis vor das Ende des Mantels können…repariert werden, geht die Beschädigung darüber hinaus, wird das Tier
sofort erlöst. (Siehe dazu auch die Skizze zum Körperbau der Schnecke.
Es braucht keine Fixierung von Bruchstücken, dies kann sogar schädlich werden, wenn das Pflaster an den darunter liegenden Körperteilen klebt.
Ihr benötigt eine kleine Faunabox, die höher als breit ist, aber auch ein größeres Glas funktioniert, um die Entwicklung beobachten zu können. Die Krankenstation muss abgedeckt werden und Luft
muss hinein können.
In das Gefäß kommen Gras und Blätter, aber auch ein weicher Bodengrund aus Erde ist sehr gut.
Ein Ast zum Abhängen, 95%iger Rasenkalk ohne Beimischung, vor allem ohne Kupfer, oder Eierschalenmehl, kommen ebenso hinein.
Mit einer Sprühflasche für Feuchtigkeit sorgen.
Das Tier unbedingt in Ruhe lassen, etwas dunkler stellen.
Die Verletzungen sind zu groß, das Tier muss erlöst werden....
Es ist doch klar, wenn wir ein Tier verletzen oder verletzt vorfinden, müssen wir helfen oder erlösen, je nachdem, was möglich ist.
Erlösung bedeutet auch für uns, wir sollen etwas tun, was uns an die Nieren geht.
Danke für euer Interesse und die Achtsamkeit,
die ihr zukünftig für die geschützten
Weinbergschnecken aufbringt.
Petra Stockhaus
Zu den Bildern:
1.Foto: Das zerstörte Schneckenhaus. Sofort zieht das Tier die Augenstiele ein, um die Augen zu schütze.
2.Foto: Von der anderen Seite,
deutlich sieht man den Mantel, unter dem sich die Lunge befindet.
3.Foto: Das vordere abstehende Stück war ganz hinten.
Nun muss noch der Mündungsrand repariert werden.
4. Foto: Nach nur zwei Tagen ging es zurück in die Freiheit.
Der letzte Bereich direkt an der Mündung wurde über Nacht mit einer dünnen Kalkschicht geschlossen. Die komplett Reparatur darf sie in ihrem Umfeld abschließen.
1 Gehäuse, 2 Leber, 3 Lunge, 4 Darmausgang, 5 Atemöffnung, 6 Auge, 7 Fühler, 8 Schlundganglion, 9 Speicheldrüse, 10 Mund, 11 Kropf, 12 Speicheldrüse, 13 Geschlechtsöffnung, 14 Penis, 15 Vagina, 16 Schleimdrüse, 17 Eileiter, 18 Pfeilbeutel, 19 Fuß, 20 Magen, 21 Niere, 22 Mantel, 23 Herz, 24 Samenleiter
Christiane (Mittwoch, 05 Juni 2024 18:44)
Vielen Dank an Petra und Barbara! Ich bin so froh, dass ich "meiner" Weinbergschnecke jetzt helfen kann, ich hoffe, sie schafft es! Mein Mann und ich sammeln auf unserem Campingplatz die Weinbergschnecken immer von den Fahrwegen auf und setzen sie in ihrer Kriechrichtung dann im Unterholz ab. Der Sohn einer Bekannten hat mit seiner Mutter einige beschriftet und ich habe auch schon mal zwei markiert, hatte aber das Gefühl, dass sie das nicht mögen und lasse es jetzt wieder. Jetzt hoffe ich darauf, dass sich meine Patientin erholt. Hier noch ein Buchtipp: "Das Geräusch einer Schnecke beim Essen", von Elisabeth Tova Bailey. Die Autorin war sehr schwer erkrankt und lange Zeit bettlägerig, ihre einzige tägliche Begleitung war eine kleine Weinbergschnecke und so hat sie sich mit der Biologie dieses Tieres beschäftigt, sich um die Schnecke gekümmert und so die Zeit ihrer eigenen Bewegungslosigkeit gestaltet. Erschienen im Piper-Verlag. Ein wie ich finde großartiges Buch. Grüße chrissi
Susanne Hoffmann (Samstag, 20 Juli 2019 19:54)
Hallo,
vielen Dank für den Beitrag.Gestern bin ich im Wald leider auf eine Weinbergschnecke getreten, das hat mir sehr Leid getan. Das Haus war sehr zerstört aber die Schnecke ist weitergekrochen.Ich habe sie mit nach Hause genommen und die restlichen Splitter entfernt.
Zuspät habe ich daran gedacht, das evtl im Internet etwas stehen könnte. Ich hatte leere Schneckenhäuser zu hause. Sie ist auch gleich in das Schneckenhaus gekrochen. Leider hat Sie nicht überlebt. Ich hätte sie wohl töten müssen.
Falls ich nun eine Schnecke finde, die verletzt ist weiß ich nun was zu tun ist
Barbara Stockhaus (Freitag, 08 September 2017 13:04)
Es ist leider eien Annahme, die sich seit ewigen Zeiten aufrecht hält. Darum mag ich widersprechen:
Weinbergschnecken fressen nicht die Gelege der Wegschnecken.
Sie sind vor allem Grünblattfresser, holen sich ab und zu etwas Aas und auch feuchte Welkblätter.
Barbara Stockhaus (Freitag, 08 September 2017 12:33)
Hallo,
es ist überraschend, welche Resonanz mein Bericht doch findet. Vielen dank für die Verbreitung und der damit verbundenen Hilfe für so manche Schnecke nach der Achtlosigkeit unserer Füße.
Herzliche Grüße
Hans-Dieter Wiesemann (Donnerstag, 28 Juli 2016 00:27)
Ich finde auch, Weinbergschnecken sind spannende Wesen. Besonders gefällt mir, dass sie sich überwiegend von totem Pflanzenmaterial ernähren und auch die Eier von Nacktschnecken fressen sollen. Als ich vor etwa 20 Jahren die beiden ersten Exemplare von einer Exkursion aus einem Kalkgebiet in meinen Garten mit brachte, beschriftete ich sie. Die eine bekam den Namen Julia, die andere nannte ich Juliante. Später wollte ich wissen, wie lang die Strecke sein wird, die ein Tier in meinem Garten in einem Jahr zurück legen wird? Dazu notierte ich das Datum beim Auffinden auf dem Gehäuse und trug den Punkt in einen Gartenplan ein. Am Jahresende addierte ich die im Plan gemessenen Strecken und kam auf etwa 100 Meter. So fand ich nicht nur etwas über ihre Wegstrecken heraus, sonder ich achtete auch immer darauf, wo sie sich gerade aufhielten damit ich nicht versehentlich auf ihr Gehäuse trat. Heute ist mein kleiner Garten am Haus voll besiedelt. Da ich sehr viele Trockenmauern aus Kalksteinen gebaut habe, wachsen dort natürlich auch Pflanzen, die Kalk lieben oder vertragen und Kalk in ihrem Pflanzenkörper "eingelagert" haben. Das gefällt auch den Weinbergschnecken.
Erika (Dienstag, 05 Juli 2016 07:59)
Weinbergschnecken sind wie kostbare Kleinode. Ein Segen ist es, dass sie in Deutschland, der Schweiz und Oesterreich geschuetzt sind. Es war mir eine grosse Bereicherung, Anweisungen zu erhalten, wie einer Schnecke geholfen werden kann und welche Reparaturmassnahmen in kurzer Zeit zu einem neuen Gehaeuse fuehren koennen.
Da ich Linkshaenderin bin war ich ueberrascht, dass es bei den Weinbergschnecken auch gelegentliche linksgaengige Gehaeuse gibt. Ein sehr hilfsreicher Artikel, ich bedanke mich sehr.
Eva (Freitag, 01 Juli 2016 22:15)
Die Geschichte von Markus Putzgruber hat mich froh gemacht! Ein Satz wie „…und hatte mit ihrem Tod schwer zu kämpfen“ oder „Für solche Augenblicke lohnt es sich zu leben“ beweisen mir, dass ich nicht übertrieben sentimental bin, weil ich ähnlich empfinden würde, was viele nicht verstehen. Die Idee, die Häuser anzumalen ist herrlich: sie schützen nicht nur die Tiere, sondern man hat so auch eine gute Kontrolle über ihr Leben, ähnlich einem beringten Vogel. Wer in der weiten Welt hat wohl sonst noch Weinbergschnecken als Haustiere im Garten? Ich habe gerade nachgelesen, dass eine Weinbergschnecke in freier Natur ein Alter von acht Jahren erreichen kann, bei guter Pflege jedoch eine Lebenserwartung von 20 Jahren nicht selten ist. Ich wünsche noch eine lange, schöne, gemeinsame Zeit.
Barbara Stockhaus’ Bericht ist verblüffend: niemals hätte ich gedacht, dass es möglich ist, eine Schnecke so zu behandeln, ebenso erstaunt mich, dass jemand überhaupt auf einen solchen Gedanken kommt! Und da sind wir bei dem Punkt, der mich sehr tief berührt: dass ein Mensch so viel Respekt vor dem Leben eines solchen Tierchens hat, Mitleid und Liebe zeigt und die Pflicht empfindet, zu helfen. Wäre dieses Gefühl allen Menschen zu eigen, wäre das normal, könnten wir auf der Welt in einem Garten Eden leben, diese große Empathie schlösse ja alle Lebewesen ein.
Beeindruckend auch Barbaras großes Fachwissen, ihre Beobachtungsgabe und Feingefühl. Das ist eine der erstaunlichsten Tiergeschichten, die ich jemals gehört habe!