Hallo an Alle

Im Netzwerk Freiburg gefunden. Von Birgit B.

25.01.2022

Ich heiße Birgit, bin 69 Jahre alt, habe 4 erwachsene Kinder, 6 Enkel und bald ein Urenkelchen. Ich war bis zu meiner Rente Pflegerin in einer psychiatrischen Klinik und pflege seit ein paar Jahren meinen Mann. Da wir in der Altstadt wohnen, erleben wir das Treiben in der Stadtmitte regelmäßig aufs Neue.
Meine Eltern haben den zweiten Weltkrieg erleben müssen. Mein Vater ist früh geflüchtet um nicht dienen zu müssen. Meine Großeltern (Mütterlicherseits) hatten damals Landwirtschaft. Während dem Krieg versteckten sie auf und um den Hof einen jungen Vater mit seiner kleinen Tochter mit Downsyndrom. Die Mutter war kurz nach der Geburt im Wochenbett gestorben. Als der Krieg begann, mussten sich bekanntlich nicht nur die jüdischen Mitbürger verstecken. Auch der deutsche Vater mit seinem Sonnenscheinkind musste sich zum Schutz der Tochter verstecken. Aus Angst man könne ihm seine Tochter nehmen und schreckliche Experimente mit ihr machen. Kurz nach dem Krieg, starb der Vater leider bei einem Arbeitsunfall im Wald und meine Großeltern kümmerten sich weiterhin um das Mädchen.
Jeden Tag wenn ich aus der Haustüre gehe, stolpere ich über die vielen Stolpersteine dieser schönen Stadt und werde zurzeit täglich daran erinnert, wie es meiner Familie im Krieg erging oder was meiner lieben "Tante" angetan wäre, wenn meine Familie sie nicht versteckt hätte. Sie wäre sicher nicht meine Tante geworden weil die Experimente selten jemand überlebt hat.
Ja und jetzt lese ich auf Facebook, vor allem hier, wie Charaktere und Strukturen der gleichen Art wie damals, das gleiche System wie damals aufbauen und wieder viele Menschen sich da anhängen. In meinen Augen sogar wissentlich. Selbst wenn man das ignoriert, weiß man doch trotzdem wen man sich zum "Freund" macht. Und das finde ich sehr, sehr, sehr, erschreckend. Ich glaube mein Vater wäre spätestens jetzt wieder geflüchtet. Ich dachte bisher, wir hätten aus der Geschichte dieses Landes gelernt, aber da habe ich mich fürchterlich getäuscht.
Ich kann nicht nachvollziehen warum sich so viele Menschen von Antisimiten, Afd, Basis, 3. Weg, Npd, Pegida etc. etc. instrumentalisieren lassen und mit faschistischen Menschen "spazieren" gehen, während Familien wie wir, die noch ganz genau wissen was der Holocaust war, jeden Montag Abend und Samstag Mittag durch diese Bewegung in Freiburg daran erinnert werden.
Und so viele Bürger inklusive Oberbürgermeister lassen diesen Terror zu oder ignorieren es. Sind wir denn wieder in einer Gesellschaft angekommen die weg sieht? Denen es egal ist das die Rechtsradikalen wieder Stück für Stück immer mehr sich in die Politik einmischen und mit immer mehr Menschen unsere schöne Innenstadt belagern und den Einzelhandel und die Gastronomie ausser Betrieb setzen?
Ist das Freiburg?
Solidarität mit Nazis aber nicht mit den örtlichen Gewerbetreibenden?
Ich bin traurig. Einfach nur noch traurig. Ich schäme mich für jeden Menschen der dort teilnimmt.
Ich bin Stolz auf jeden, der sich dem entgegen stellt. Taten sprechen lässt. Der klare Stellung gegen die Nazis bezieht. Auf jeden der nicht einfach nur weg sieht.
Danke dafür. 

Bitte seid alle Achtsam, passt auf euch auf, bleibt wenn möglich zuhause und bleibt Gesund.