Die Pathologie der Macht
Text und Fotos: Gudrun Kaspareit
27.02.2020
Das Sprichwort < Gib jemandem ein wenig Macht und Du erkennst seinen Charakter> kennt wohl jeder. Ich habe dazu auch ein Beispiel parat. Die Rezeptionistin einer Klinik war so ein Mensch. Die Eltern mit ihrem im Rollstuhl sitzendem Jungen, der ganz offensichtlich geistig und körperlich behindert war, wollten ihr Parkticket entwerten lassen, denn auf den Behinderten-Parkplätzen war das Parken kostenlos. Jene Rezeptionistin verlangte, bevor sie das Parkticket einknipste, den Behinderten-Ausweis zu sehen. Die Eltern kramten den Ausweis hervor und ich, die zufällig vorbei ging, wusste vor lauter Fremdschämen gar nicht wohin ich schauen sollte. Diese Frau schikanierte die Eltern, einfach weil sie es konnte. Dies war ein eher harmloses Beispiel.
Vermutlich kennt der Eine oder Andere das Stanford-Prison-Experiment welches derart eskaliert ist, dass es abgebrochen werden musste. Es handelte sich um ein Experiment, in dem zufällig ausgewählte Menschen als Gefängniswärter Macht über andere zufällig bestimmte Gefangene ausüben durften. Im weiteren Verlauf kam es zu Sadismus und Folter übelster Art und das Experiment wurde abgebrochen.
Ein anderes Experiment, ebenfalls mit Studenten durchgeführt, ist das Milgram-Experiment. Es zeigt, das fast jeder auf Befehl foltern würde. Dieses psychologische Experiment, das von dem Psychologen Stanley Milgram entwickelt wurde, um die Bereitschaft durchschnittlicher Personen zu testen, autoritären Anweisungen auch dann Folge zu leisten, wenn sie in direktem Widerspruch zu ihrem Gewissen stehen. Der Versuch bestand darin, dass ein „Lehrer“ – die eigentliche Versuchsperson – einem „Schüler“ (ein Schauspieler) bei Fehlern vermeintlich einen elektrischen Schlag versetzte. Ein Versuchsleiter (ebenso ein Schauspieler) gab dazu Anweisungen. Die Intensität des elektrischen Schlages sollte nach jedem Fehler erhöht werden. Diese Anordnung wurde in verschiedenen Variationen durchgeführt. Die überwiegende Anzahl der Probanten befolgten die Anweisungen, obwohl sie den vermeintlichen Testpersonen scheinbar große Schmerzen zufügten. https://de.wikipedia.org/wiki/Milgram-Experiment
Was sagt das über uns, unsere menschliche Psyche? Sind wir alle potenzielle Sadisten oder Befehlempfänger oder beides?
Ich hatte kürzlich die Killing Fields in Siem Riep besucht. Eines der Todeslager der roten Khmer des Pol Pot Regimes, in Kambodscha. Fast zeitgleich beging man in Deutschland den Holocaust Gedenktag. Seitdem treibt mich diese Frage um. Was ist los mit den Menschen, die mit Mordgier ihre eigenen Nachbarn abschlachten, wie im Jugoslawien Krieg geschehen? Oder zwei Volksgruppen, die sich gegeneinander aufhetzen lassen und am Ende Frauen und Kinder , die in einer Kirche Schutz gesucht haben, mit Macheten massakrieren bis auf das letzte Leben; so wie bei den Hutu und Tuzi, dem Völkermord in Ruanda, geschehen. Was ist das, was immer wieder wie ein Eitergeschwür aufbricht und das abgrundtief Böse gebiert. Ich kann das nicht verstehen.
In Siem Riep habe ich Sum Rithy kennengelernt, einen der ganz wenigen Überlebenden der Killing Fields. Er hat sich das Grauen von der Seele gemalt. Diese Bilder gleichen in bedrückender Weise den Bildern des Künstlers David Olére, der sich als ehemaliger Ausschwitz Insasse ebenfalls den Horror von der Seele malte.
Trotz all dieser Mahnungen, des Wissens um die Pathologie der Macht, des Wissens um das unermessliche Leid, welches daraus erwächst, trotz all des Grauens wird auch und ausgerechnet in Deutschland wieder gezündelt. Verbal und tatsächlich.
„Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch...“ (Bertold Brecht)
Wann sind wir endlich soweit, dass wir die Fehler der Geschichte nicht mehr wiederholen müssen?
Gemälde von Sum Rithy, Siem Reap
Die Schädel von Opfern des Pol Pot Regimes in einem heiligen Schrein in Siem Reap. 3 Millionen Tote in 3 Jahren
Erika (Samstag, 04 April 2020 16:42)
Der franzoesische Komponist, Olivier Messiaen, wurde im Mai 1940 in Verdun als Soldat gefangen und kam nach Goerlitz ins Stalag Viii-A. Dort gab es drei Musiker unter den Gefangenen, einen Geiger, Cellisten und Klarinettisten. Messiaen komponierte fuer sie ein Trio,welches bei vier Grad Minus Temperatur vor den Gefangenen aufgefuehrt wurde.. Spaeter,nach ihrer Entlassung,wurde es ein Teil seines beruehmten “Quartet for the End of Time”. Am 15. Januar 1941 spielten sie vor einer gefuellten Gefaengnisbaracke fuer die etwa 300-350 Gefangenen. Selbst Verwundete wurden auf Tragen wurden geholt. Die Musiker hatten Holz Sandalen und trugen zusammengesuchte Sachen. Die Holzpantoffeln waren das Wertvollsste in solcher Kaelte. Die Geige hatte nur 3 Saiten, auf dem Klavier klemmten einige Tasten,. der Klarinette fehlte eine Aussenklappe, das Cello aber hatte vier Saiten. Es gab Schweigen, etwas Applaus. Man diskutierte. Die drei Musiker E.T.Pasquier, H.Akoka und J. le Boulaire wussten, es war ein neues Werk und sie halfen dem Werk unter schwierigsten Umstaenden zur Urauffuehrung. Mein Mann liebt das Werk sehr, seit er die genaueren Umstaende kennt, unter denen ein beruehmtes Quartett entstand..
Marion Hartmann (Freitag, 03 April 2020 20:32)
Ich glaube, man findet eher entfernte fremde Sterne, als den Mechanismus, welcher den Schalter im Gehirn umlegt. Aber wie schon Friedrich Nietzsche sagte: "Der Wille zur Macht steckt in beinahe jedem Menschen, man muss ihn nur anfüttern." Mir fällt spontan die Bestie von Buchenwald ein, Ilse Koch. Wenn doch Macht Gutes schaffen würde! Danke für Deine tiefgehenden Gedanken zu diesem Thema, das Du unterlegt hast mit Bildern. Ich wünsche Dir viele Leser und Nachdenkende!