Berliner Demo 2
Heute habe ich dieses Foto gesehen von der "Corona-Demonstration" in Berlin am Samstag. Es macht mich fertig.
Das Bild von der Nachrichtenagentur Reuters, veröffentlicht unter anderem von der "Tagesschau", zeigt ein Paar, vielleicht Mitte sechzig Jahre alt. Sie trägt einen Zettel mit der Aufschrift
"Lieber tot als ein ganzes Leben in Angst!!!", er hält - typische Geste der Wutbürger heute - den
Polizisten sein Smartfon ins Gesicht, offensichtlich filmt er sie. Mir geht es nicht um konkret dieses Paar, sondern um diesen Typus Mensch. Deshalb habe ich ihre Gesichter geschwärzt. Dieser
Typus taucht inzwischen bei "Pegida" auf, er wählt "AfD", bereitet also mit voller Absicht Nazis den Weg an die Macht, demonstriert jetzt gegen die Corona-Maßnahmen.
Mich macht das, wie gesagt, fertig.
Das sind nämlich Leute von nebenan. Ganz normale Leute eben. Er trägt ein gut gebügeltes Hemd und hat eine Trillerpfeife um den Hals (als ob man damit in einer zivilisierten Gesellschaft
kommuniziert), sie trägt Perlenkette und Perlen im Ohr. Beide sehen, nun ja, recht wohlgenährt aus. Es geht ihnen besser als Milliarden von anderen Menschen. Wahrscheinlich besitzen sie ein Auto,
vielleicht sogar mehr als eins, wahrscheinlich fahren sie einmal im Jahr - mindestens - in den Urlaub und glauben, das sei ihr gutes Recht, das hätten sie sich verdient. Wahrscheinlich kommen sie
aus einer Rundum-sorglos-Vollkasko-versicherten Welt, mit Eigenheim und Rentenansprüchen. (Es geht mir, noch einmal, nicht um die konkret abgebildeten Personen, die kenne ich nicht.)
Natürlich dürfen solche Leute Ängste haben. Jeder Mensch hat Angst. Sie könnten sagen: "Ich habe Angst." Vor Corona. Oder vor den Folgen der Corona-Maßnahmen. Oder vor der Globalisierung. Oder
vor der Digitalisierung. Oder vor Bedeutungsverlust. Oder vor dem Altern. Oder vor Menschen, die anders aussehen, anders leben, anders sprechen, anders glauben, anders lieben als sie
selbst.
Dann könnte man ihnen antworten: Gut, lasst uns über eure Ängste reden. Lasst uns eure Ängste behandeln. Lasst uns professionelle Hilfe holen für eure Ängste, um diese Ängste abzubauen. Und lasst
uns Maßnahmen treffen, wo Ängste begründet sind.
Aber diese Leute erpressen uns. Sie brüllen uns an, unter dem Vorwand, man würde sie sonst nicht hören. Es ist ihnen egal, dass sie mit Extremisten und Verrückten aller Couleur Seite an Seite
stehen und marschieren. Dass sie gemeinsame Sache machen.
Allein in der Formulierung "Lieber tot…" liegt eine Erpressung. Sie wollen provozieren, dass jemand sagt: Tja, dann sterbt halt! Aber natürlich wünschen wir ihnen das nicht. In einer
zivilisierten Gesellschaft wünschen wir niemandem den Tod. Aber wer sagt: "Lieber tot…", will kein Gespräch, will keinen Austausch, will nicht zuhören, will keine Argumente zur Kenntnis nehmen.
Ihren - oft abstrusen - Forderungen geben sie einen (pseudo-)demokratischen Anstrich, indem sie das Etikett "Wir sind das Volk!" und "Widerstand!" dranheften. Übersetzt heißt das: Wage niemand,
uns zu widersprechen, denn das wäre dann Diktatur!
Jeder Versuch, sich mit ihnen kritisch auseinanderzusetzen, ist damit nach ihrer Definition ein Versuch, Demokratie zu unterdrücken. In ihren Augen gibt es nur eine Möglichkeit: die vollständige
Umsetzung ihrer Forderungen. Abschaffung der Corona-Maßnahmen! Grenzen dicht! Abschiebung aller Flüchtlinge! Ausländer raus! Euro weg! Merkel weg!
Diese Masche hat "Pegida" sich zunutze gemacht, die "AfD" nutzt sie, jetzt auch die "Corona-Demonstranten".
Und allen Ernstes sagen viele: "Wir dürfen diese Leute nicht abstempeln! Das sind nicht alles Nazis!" (Nö, aber sie stehen und gehen mit ihnen Seite an Seite, und es ist ihnen völlig egal.)
Niemals würde es den Leuten, die diese „Demonstranten“ in Schutz nehmen, einfallen, auf die gleiche Weise für Salafisten und Islamisten in die Bresche zu springen - zu Recht! Aber hier tun sie
es. Weil sie sich in ihnen selbst erkennen. Oder Mutti und Vati. Oder den Bruder, die Schwester, die Nachbarn, den Sohn, die Tochter, die Freundin, den Freund.
Und das macht mir eben Angst: Sehr, sehr viele Menschen in Deutschland sind so. Mir fehlt, dass es ein lautes, starkes, stabiles Dagegen gibt. Dass die Mehrheit, und zwar die große Mehrheit ihnen
deutlich sagt: Die Masche von Extremisten bleibt die Masche von Extremisten! Und: So geht's nicht! Ihr grenzt euch selbst aus!