Der Versuch eines Dialogs
Text: Manuel Weber
11.02.2016
Hallo Du, wir müssen reden!
Es gibt viel zu besprechen. Ich hoffe, du hast Zeit.
Vielleicht kennst du mich gar nicht. Dann würdest du mich vermutlich als Bahnhofsklatscher, Teddywerfer, Gutmensch oder Vaterlandsverräter bezeichnen. Auf mich trifft zwar nichts davon zu (na gut, Gutmensch bin ich vermutlich schon), aber wenn es dir hilft, darfst du mich so nennen.
Ich weiß allerdings nicht so recht, wie ich dich nennen soll.
Besorgter Bürger? Das kauft dir doch keiner mehr ab. Darüber bist du doch längst hinaus.
Nazi? Dann fängst du wieder an zu jammern und holst die ´Nazikeule-Keule` raus.
Rassist? Klingt irgendwie altmodisch, oder? 2016 dürfte es eigentlich keine Rassisten mehr geben. Aber selbst der Höcke ist ja laut Petry kein Rassist.
Misanthrop? Das Wort kennst du vermutlich nicht. Die deutsche Sprache ist ja meist nicht so deine Stärke, da komme ich erst lieber gar nicht mit Fremdwörtern daher.
Faschist? So kurz vor Fasching verstehst du das vielleicht auch falsch.
Patriot? Von wegen, du bist kein Patriot! Ein Patriot liebt sein Land, mitsamt seinen Werten, Menschen und Traditionen. Du liebst weder unsere die Werte, noch die Menschen - außer sie denken
genauso wie du. Was liebst du denn an diesem Land? Die Landschaft? Du beschimpfst die Mehrheit deiner Mitbürger, belügst sie, streust Gerüchte und behauptest tatsächlich, du tust dies für dein
Land? WIR sind das Land! Und du bist der, der es verrät. Also, ein Patriot bist du auf keinen Fall.
Ich glaube, ich nenne dich einfach Wutbürger.
Denn deine Einsamkeit, dein Neid und dein Frust haben dich wütend werden lassen. Und da sind wir auch schon bei dem Grund, warum ich mit dir reden möchte.
Deine Wut nervt mich. Deine Wut auf Politiker, Flüchtlinge, Presse und auf Leute wie mich. Leute, die nicht so denken wie du. Du beschimpfst mich als Gutmensch, nur weil ich mich nicht an deiner
Hetze beteilige? Begreifst du nicht, dass es hier nicht nur um Flüchtlinge geht, sondern ganz allgemein um den Charakter? Wir Gutmenschen haben auch schon vor der Flüchtlingssituation geholfen
und werden es auch nachher noch tun. Denn wir sind Diejenigen, die sich ehrenamtlich engagieren, die deine Kinder trainieren, deinen Großeltern das Essen bringen, Obdachlose mit Kleidung
versorgen oder wie jetzt, Flüchtlingen helfen. Wir sind es, die sich um die Menschen in dem Land kümmern, welches du angeblich so liebst. Was tust du denn für dieses Land, außerhalb von Facebook?
Aber du bist halt wütend – und darum denkst du, dass du das Recht hast, mich zu beschimpfen.
Weißt du was? Ich bin auch Deutscher, bin hier geboren und aufgewachsen. Aber ich bin, im Gegensatz zu dir, nicht stolz darauf, Deutscher zu sein. Wie sollte ich auf etwas stolz sein, wofür ich nichts geleistet habe? Allerdings ich bin froh und dankbar, in so einem reichen und schönen Land wie Deutschland zu leben.
Wir haben mehr Geld, als die meisten anderen Länder, wir haben mehr Rechte, mehr Freiheiten, bessere medizinische Versorgung und eine bessere Infrastruktur, als die meisten anderen Länder.
Aber das vielleicht Wichtigste: wir haben Frieden!
Uns in Deutschland geht es gut! Vielleicht nicht jedem Einzelnen. Auch in Deutschland gibt es Menschen, die arm sind, Hunger leiden oder arbeitslos sind. Aber dennoch leben wir in einem
Sozialstaat. In einem Land, welches seinen Einwohner hilft, wenn Sie in Not sind. Das siehst du vielleicht nicht, weil du egoistisch bist und immer nur auf dich guckst. Und wenn ein Anderer mehr
hat, als du, dann bist du wieder wütend.
Ich jedoch erlebe täglich, dass nicht nur der Staat Verantwortung für die Menschen in Deutschland übernimmt, sondern auch die Menschen untereinander.
Ich erleben in unserem Land so viel ehrenamtliches Engagement, Mitgefühl und Loyalität – und das jeden Tag. Und darum liebe ich dieses Land; wegen seinen Menschen.
Seit einigen Monaten erlebe ich allerdings auch ein anderes Deutschland. Ein Deutschland, indem die Fremdenfeindlichkeit wächst, Hass und Angst geschürt wird und Politiker bedroht und sogar
abgestochen werden.
Aber nicht etwa, weil hier keine Freiheit, Reichtum oder Frieden mehr herrschen würde, sondern weil Menschen bei uns Hilfe suchen, in deren Heimatländern es so etwas eben nicht gibt.
Die Flüchtlinge kommen aus Ländern, in denen Krieg, Verfolgung und Hunger an der Tagesordnung sind. Du redest von Wirtschaftsflüchtlingen und Asylschmarotzern, hast aber noch nie ein Wort mit
einem Flüchtling gewechselt.
Auch wenn diese Menschen fast alles verloren haben, heimatlos und verzweifelt sind, in Einem sind sie euch weit voraus. Diese Menschen haben nämlich erkannt, was du vergessen hast: dass Deutschland ein geiles Land ist, indem es sich zu leben lohnt!
Und ich wünsche mir, dass wir der Welt zeigen, warum Deutschland so ein tolles Land ist. Ich möchte, dass die Welt Deutschland nicht nur für den schönen Fußball oder die tollen Autos bewundert, sondern wegen der wunderbaren Menschen, die in diesem Land leben.
Menschen, die dieses Land aus seinen Trümmern wieder aufgebaut haben (was übrigens nicht nötig gewesen wäre, hätte die braune Ideologie nicht dafür gesorgt, dass alles zerstört wurde), Menschen die zusammen mit Einwanderern für das Wirtschaftswunder gesorgt haben, Menschen die die Mauer durch unser Land und in unseren Köpfen niedergerissen haben, Menschen die Flüchtlinge während des Balkankrieges aufgenommen haben, die der Welt 2006 ein Sommermärchen beschert haben, die die Finanzkrise überwunden haben und Menschen, die sich ihre Menschlichkeit bewahrt haben. Selbst wenn wir in Europa alleine dastehen. Ich bin lieber als Mensch isoliert, als ein Arsch in der Masse!
Lasst uns nicht vergessen, was dieses Land schon alles geschafft hat und lasst uns darauf vertrauen, dass wir auch die jetzige Situation bewältigen werden. Und es wäre nett, wenn du das nicht ständig boykottieren würdest. Deine Gerüchte, Lügen, Hassbotschaften und Angriffe schaden diesem Land, sie bewirken NICHTS Gutes!
Es ist immer einfacher, Probleme statt Lösungen zu suchen. Aber es bringt uns nicht weiter.
Nutze deinen Emotionen doch mal für etwas Positives. Statt ständig über Politiker zu schimpfen, könntest du doch mal überlegen, wie du diesem Land helfen könntest. Denn so funktioniert eine
Solidargemeinschaft.
Lasst uns diese Herausforderung gemeinsam angehen! Du musst ja nicht mit Allem einverstanden sein und du brauchst auch nicht mit Flüchtlingen zu arbeiten. Es reicht schon, wenn du nicht gegen die
arbeitest, die versuchen zu helfen.
Wir haben bis vor Kurzem friedlich zusammen gelebt. Haben auf der Arbeit über Fußball gesprochen, auf Familienfeiern lecker gegessen oder im Internet Katzenvideos geteilt. Und jetzt sollen wir Feinde sein, weil Leute aus Syrien oder dem Irak hier Schutz suchen? Willst du das wirklich? Mit den Dunkelbraunen kann man nicht diskutieren, aber ich hoffe, dass in dir noch etwas Menschlichkeit und Nächstenliebe steckt.
Wenn ich sehe, wie viele Leute bei Pegida mitlaufen, dann weigere ich mich zu glauben, dass die alle die gleiche Gesinnung teilen. Ich glaube und hoffe, dass da viele gute Menschen mitgehen, die
nach Antworten suchen und noch keine andere Alternative gefunden haben. Ich bitte dich: hör auf dein Herz!
Leute, die mit der Deutschlandflagge durch Talkshows kaspern, beleidigen jeden, der dieses Land wirklich liebt. Diese Leute sind nicht an unserem Land oder seinen Einwohnern interessiert, sondern
nur an ihrer eigenen Ideologie und an mehr Wählerstimmen. Wo waren denn diese Leute vor der Flüchtlingskrise? Was haben die denn bisher für uns getan? Das sind keine Patrioten, sondern Egoisten.
Willst du wirklich, dass die Stimmung in unserem schönen Land von solchen Typen bestimmt wird? Schreihälsen, die immer nur gegen alles sind und niemals für etwas?
Natürlich darfst du zu deiner Kultur stehe, zu deinen Werten und Traditionen. Das ist sogar wichtig. Integration kann nur funktionieren, wenn wir den Flüchtlingen unsere Werte selbstbewusst
vorleben.
Diskriminierung funktioniert in zwei Richtungen. Mit dem Baseballschläger kann ich genau so diskriminieren, wie mit dem Samthandschuh! Wer hierher kommt, muss unsere Werte, unsere Gesetze und
unsere Religion akzeptieren, da bin ich deiner Meinung – wir müssen ihnen aber auch die Chance dazu geben. Und hier bist auch du gefragt.
Also, wir können uns gerne weiter streiten, bei Facebook oder auf der Arbeit. Ich habe viele Argumente und gebe so schnell nicht auf. Oder aber wir versuchen aufeinander zuzugehen und überlegen, wie wir gemeinsam den Flüchtlingen zeigen, dass Deutschland ein geiles Land ist, indem mehr Liebe als Hass herrscht!
Dein Manuel
christine (Sonntag, 06 März 2016 14:21)
Ich schließe mich sehr gerne Eva an und hoffe, der wunderbare Brief wird auch gelesen werden ...
Eva Schmelzer (Mittwoch, 02 März 2016 12:45)
Diesen Super-Dialog hätte ich Anfang Februar parat haben müssen, als mein Mann und ich eine Familienfeier vorzeitig verlassen haben, weil sich dort „Biedermänner als Brandstifter“ zu diesem Thema geoutet haben. Ich werde ihn ausdrucken und sie damit beschämen - es zumindest versuchen.
Ich will die Diskussionen, ob wir das schaffen, ob und wie diese armen Menschen, seien es nun Kriegsflüchtlinge oder „nur“ völlig perspektivlose Menschen hier integriert werden können, ob es Obergrenzen geben soll, nicht mehr hören. Wir haben keine Wahl! Erst heute morgen sprachen „Ärzte ohne Grenzen“ von einer humanitären Katastrophe, die sich auf der Balkan-Route und in Griechenland abspielt. Ich kann nur noch ausspucken vor der „Solidarät“ und den „gemeinsamen Werten“ des Friedensnobelpreisträgers Europa. Und erst recht vor der Weltgemeinschaft, deren Verantwortliche untätig zugesehen haben, wie die Situation sich zugespitzt hat. Schon zwischen 2004 und 2013 kamen vor Lampedusa mehr als 6200 Boatpeople ums Leben!