Vom Anprangern zum Anpacken
Text Und Fotos: Torsten Jäger
25.01.2022
Immer mehr Flächenfraß durch Baugebiete und Landwirtschaft, radikaler Schnitt von Hecken und Bäumen, Mähen zur Unzeit und auf rabiate Weise. - Angesichts des Artensterbens, Klimawandels und von
Flutkatastrophen ist das eigentlich völlig unverständlich. Dennoch findet es in vielen Bereichen ungebremst statt.
Auch in unserer Verbandsgemeinde war und sind solche Maßnahmen leider ein Thema.
Das war ein Grund, weshalb ich mich im Jahr 2019 aufgrund von Kahlschlägen mehrfach an die Presse gewandt habe, die dann auch berichtet hat. Gleichzeitig habe ich es in der Facebookgruppe unserer
Gemeinde thematisiert, und als Idee die Gründung einer Naturschutzgruppe in den Raum gestellt.
Ein gerodetes Pappelwäldchen und einige - im Mai abgemähte - Wildblumenstreifen später, traf ich mich mit drei weiteren Personen aus der Gemeinde, die dem Treiben nicht länger zusehen wollten: Die Naturschutzgruppe Bodenheim war geboren.
Was zunächst als Protestbewegung, mit weiteren Zeitungsartikeln und Facebook-Posts begann, konnte so auf Dauer nicht weiterlaufen. Denn zwar kam die Kritik bei den Verantwortlichen an, man wollte auch etwas ändern. Doch so richtig zum Positiven änderte sich zunächst nichts.
Es blieb also nur eines: Wir mussten vom Mahner zum Planer werden – vom Anprangern zum Anpacken. Bald reifte die Idee einer eigenen Grünpatenschaft. So nennt man es hier, wenn eine Person oder
eine Gruppe die Verantwortung für eine gemeindeeigene Fläche übernimmt.
Zunächst bot man uns einen kleinen, etwa 2x3 m großen Bereich an, auf dem sich ein Jahr zuvor bereits ein anderer Einwohner mit einer Blühmischung versucht hatte. – Und kläglich scheiterte. Also
konnte das nicht die Lösung sein. Die Lage dieses Plätzchens war sehr schlecht.
Unser Ortsbürgermeister prüfte dann, welche Flächen noch zur Verfügung standen, was hier wirklich nicht viele sind, und wir erhielten schließlich einen Bereich von 290 Quadratmetern Größe.
Die Kosten für die Bepflanzung und einen Teil des Materials übernahm die Gemeinde. Und so konnten wir loslegen.
Mit Einwegpaletten, Baumholz, Lehm und dem Reststück Teichfolie, das ich noch von meinem Naturteich hatte, bauten wir ein „Naturhotel“. Es enthält verschiedene Nistmaterialien für Wildbienen,
zugleich einen Nistkasten für Nischenbrüter, sowie einen Igel-Überwinterungskasten.
Das „Hotel“ bekam ein begrüntes Dach – mit Felsenfetthene und Schnittlauch bepflanzt.
Angrenzend bauten wir eine Trockenmauer und bepflanzten sie mit Wiesensalbei, Edelgamander und Thymian.
Es folgte ein Sandarium mit einer 40 Zentimeter hohen Sandfüllung und ohne Bepflanzung. Davor pflanzten wir insektenfreundliche Wildblumen, wie Hornklee, Seifenkraut, Glockenblumen, Krokusse,
Milchstern, Blauer Bergfenchel und Wiesen-Flockenblumen.
Ein Totholzstapel durfte natürlich auch nicht fehlen. Wir hoben eine Grube von 1x1 Meter und mit einem Meter Tiefe, befüllten sie mit Holzhackschnitzeln und schichteten darüber Stämme von
verschiedenen Baumarten auf. Das ist wichtig, da die mögliche Käfervielfalt, die sich hier ansiedeln kann, auch von den vielfältigen Baumstämmen und Ästen abhängt.
Passenderweise grenzt an unsere Fläche zudem eine kleine Wildstrauchhecke.
Während dieser ersten Arbeiten kamen weitere Mitglieder in unsere Gruppe und wir pflanzten auf der Fläche auch noch einen Baum – einen Felsenahorn, der mit der Trockenheit hier in Rheinhessen gut zurechtkommt und zugleich blüht. Eine Kornelkirsche, eine Bergjohannisbeere, eine Wilde Johannisbeere sowie einige Liguster-Sträucher rundeten dann die erste Pflanzung ab.
Nach und nach legten wir ein weiteres Beet an. Und dann kamen die Lockdowns mit Kontaktbeschränkungen. Deshalb war es zunächst eine Zeit lang nicht möglich, hier weiter zu planen. Und wir entschieden uns dafür, einfach mal zu schauen, welch natürliches Potential in dieser Fläche liegt. Denn so richtig entfalten konnte es sich nicht, während der Bauhof zuvor regelmäßig das Gras kurzgehalten und somit die Fläche am natürlichen Aufwuchs gehindert hat. Wir übernahmen die
Mahd für die gesamte Fläche – und das so schonend wie möglich. Im Juni mähten wir ein Stück weit ab, stark wuchernde Pflanzen entfernten wir auch. Und herauskam: Ein kleines Paradies!
Vor dem Wunder…
Nach dem Wunder
Sporadisch dokumentierten wir, was so alles auf der Fläche auftauchte, die zuvor maximal ein Stück Rasen war – im Sommer oft auch nur dürre Ödnis. Und: Siehe da! Es tauchten mindestens 30 verschiedene Pflanzenarten auf. Ganz von alleine, ohne unser Zutun. Mit diesen verschiedenen Pflanzen erschienen auch 30 verschiedene Tierarten. Und wir haben wirklich nur sporadisch gezählt und dokumentiert. Es dürften deutlich mehr sein. Hier eine kleine Übersicht:
Ein Stahlblauer Grillenjäger mit Futter für den Nachwuchs… Er bringt Grillen in die Niströhre, legt auf diesen Eier ab, aus denen dann der Nachwuchs schlüpft und sich von den Grillen ernährt.
Gemeine Bienenkäfer lässt sich hier den Pollen schmecken, jagt aber auch anfliegende Insekten. Seine Larven leben parasitär von Wildbienen- und Honigbienen-Brut.
Das Gemeine Blutströpfchen sitzt hier auch auf der Blüte der Ackerkratzdistel. Die ungeliebte Wildpflanze, die vielen Gärtnern den letzten Nerv raubt, ist eine sehr wertvolle heimische Blühpflanze für Wildbienen und Falter.
Hier sieht man auch eine sehr wertvolle Pflanze für Insekten, aber auch für Vögel: Die Wilde Karde, die ebenso plötzlich auftauchte.
Die Kapuzinerkresse zog hier eine Blaue Holzbiene an. Für die Veränderliche Krabbenspinne darunter war diese Beute definitiv zu groß…
Was man direkt erkennen konnte ist das Zusammenspiel verschiedener Arten und die Abhängigkeit von Strukturen.
Das beste Beispiel: Dadurch, dass wir auch das Gras hoch aufwachsen ließen, fanden sich natürlich jede Menge Grashüpfer, Heupferde und Zikaden ein. Gleichzeitig tauchte plötzlich die Wespenspinne
auf. In unseren Niströhren fanden wir den Stahlblauen Grillenjäger vor – eine zugewanderte Art, aber trotzdem wunderschön.
Und das ist kein Zufall. Denn Wespenspinnen und Stahlblaue Grillenjäger haben eines gemeinsam: Sie brauchen Grillen und Grashüpfer als Nahrung. Und nur weil das Gras hier hochwachsen durfte,
fanden sich die Hüpfer ein, und somit auch Wespenspinne und Grillenjäger.
So hängt vieles zusammen, und geht zusammen unter, wenn eines verschwindet.
Genau das kommunizierten wir dann auch als Gruppe in der Presse, den sozialen Medien und auf unserer Website, dokumentierten die Entwicklung der Fläche und somit das kleine Wunder, das hier die Natur zustande brachte: Den Wandel von einer öden Fläche in ein kleines Paradies. Und das auch noch fast ohne jegliches Zutun.
Wir nahmen auch an verschiedenen Naturschutz-Wettbewerben teil und konnten gleich zweimal punkten. Beim Umwelt- und Klimaschutzpreis des Landkreises Mainz-Bingen erreichten wir den 2. Platz mit einem ordentlichen Geldpreis als Prämierung. Und das nicht nur für unsere Fläche, sondern auch für die Öffentlichkeitsarbeit und unser erfolgreiches Steinkauz-Schutzprojekt. Bilder und eine Dokumentation der Brut gibt es unter folgendem Link: https://mehrnatur.wordpress.com/der-steinkauz/
In der Kategorie „Kommunale Flächen“ wurde unsere Grünpatenschaft zudem für Platz 3 beim bundesweiten Wettbewerb „Wir tun was für Bienen“ der „Stiftung für Mensch und Umwelt“ ausgewählt.
Und wir haben auch jetzt noch einiges vor. Die Fläche soll nun nach und nach zum „ErLebensraum“ gestaltet werden. Lebensraum für die Natur, und Erlebensraum für die menschlichen Besucher. Die
Einrichtung einer Kräuterspirale steht als erstes an, dann werden Trockenmauern, ein Blühstreifen, ein Bereich mit insektenfreundlichem Rosenbeet und eine Schmetterlings-Spirale folgen. Verbinden
werden wir die Bereiche mit Wegen, ergänzen mit Info-Schildern und Barcode-Funktion, damit die Saat des Naturschutzes auf der Fläche in die Welt hinausgetragen werden kann. Und somit noch weitere
solche Naturschutz-Inseln entstehen.
Wir sind inzwischen 12 Personen, die sich engagieren und auch unsere Stimme wird nun eher gehört.
Noch im letzten Frühjahr fand eine radikale Rodungsaktion an einem Graben in der Gemeinde statt. Hecken wurden rigoros entfernt, der Grasbewuchs an den Böschungen mit dem Fadenmäher bis unter die
Grasnarbe abgemäht, somit der Bewuchs beschädigt. Alles mit der Begründung, die Wasserableitungsfunktion des Grabens müsse sichergestellt werden. – Dies aber doch sicher nicht, indem man am
Uferbereich die Erde lockert und somit dafür sorgt, dass der nächste Regenschauer sie in den Lauf spült?! Und wer den Bewuchs an Hecken weit außerhalb des Grabenlaufs entfernt, der sorgt dafür,
dass es im Grabenlauf selbst schön sonnig wird und wuchernde Pflanzen wie Brombeere, Brennnessel, Gräser (oder auch Neophyten) umso besser wachsen und den Lauf behindern. Diese Theorie bestätigt
nun auch der Blick in den Grabenlauf, in dem der Wasserabfluss teils deutlich stärker beeinträchtigt wird, als es vor der Rodung der Fall war.
Mit den gerodeten Hecken verschwanden Futter- und Nistmöglichkeiten für Vögel, aber auch Raupenfraß-Pflanzen sowie Nektar- und Pollenspender. Und nicht zuletzt diente die Hecke als Leitstruktur
für gebäudebewohnende Fledermäuse, die am Graben entlang zu ihrem Jagdgebiet – einem Regenrückhaltebecken – flogen.
Solche Themen stehen natürlich auf unserer Agenda und manchmal ist man versucht, dies an die große mediale Glocke zu hängen. Doch ist diplomatisches Vorgehen gefragt – so sehr es auch aufregt und unverständlich ist. Denn mit verbrannter Erde ist keinem gedient – höchstens jenen, die den Status Quo erhalten möchten. Von daher haben wir uns offen gezeigt, mit der hier zuständigen Umweltbeauftragten ins Gespräch zu gehen, um eine gute und ausgewogene Lösung zu finden.
Überhaupt sind in unserer Naturschutzarbeit teilweise einige diplomatische „Tretminen“ versteckt, man gerät sehr schnell in die kommunale Politik und gerne möchten verschiedene Parteien eine Nähe erzeugen und auch für eigene Themen sensibilisieren. Eine Unabhängigkeit ist uns hier jedoch wichtig, denn in den Mühlen der Kommunalpolitik kommt man schnell mal unter die Räder.
Daher liegt unser Augenmerk vor allem darauf, etwas positiv voran zu bringen, innerhalb der Gemeinde mit verschiedenen Institutionen Kontakte zu knüpfen und Menschen mit ins Boot zu holen. Wir stehen u.a. mit der Caritas in Verbindung und haben hier auch bereits einige Aktionen mit organisiert (z.B. Müllsammel-Aktion)
Apropos: Am Rhinecleanup, der jährlichen und internationalen Müllsammelaktion entlang des Rheins, beteiligen wir uns auch und organisieren die Sammlung am Rheinabschnitt unserer Gemeinde.
Mehr zu unserer Arbeit und zur weiteren Entwicklung der Grünpatenschaftsfläche gibt’s auf unserer Website: https://mehrnatur.wordpress.com/
An vielen Missständen kann man heute nur sehr wenig ändern: Die Vernichtung von Regenwäldern der Tropen, das Sterben der Korallen, das Schmelzen der Gletscher und Polregionen, … Außer durch einen geänderten Konsum, mit dem man hier einen kleinen Beitrag leisten kann, steht man dem relativ hilflos gegenüber. Das kann lähmen, es kann deprimieren und mutlos machen.
Doch man ist eben nicht grundsätzlich zum Nichtstun verdammt. Man kann etwas ändern. Vor der eigenen Haustür sterben auch Arten aus, werden Lebensräume vernichtet, verschwinden die wenigen
verbliebenen Naturinseln nach und nach unter Asphalt, Zement und Äckern. Hier kann man ansetzen und etwas tun. Man rettet damit zwar nicht die ganze Welt. Aber man rettet die kleine Welt von
Wesen, wie der Zaunrüben-Sandbiene, dem Bläuling, von Nachtfaltern und Fledermäusen, dem Gartenschläfer, dem Steinkauz, der Drossel, der Eidechse & Co.
Und das ist doch auch schon mal einiges…
Eva Schmelzer (Mittwoch, 16 Februar 2022 18:00)
Ach, tut das gut, diesen Artikel zu lesen! Es ist zwar richtig, dass man an vielen Missständen heute nur sehr wenig ändern kann, wie eben der Vernichtung von Regenwäldern, dem Sterben der Korallen, dem Schmelzen der Gletscher und Polregionen (das wäre Aufgabe der diesbezüglich sehr schläfrigen Politik), aber es zeigt auch, dass der „kleine Mann“ mit gutem Willen, Mut und Beharrlichkeit sehr viel erreichen kann. Nein, die ganze Welt rettet man damit nicht, aber wie Torsten Jäger richtig sagt, eine kleine. Und viele kleine Welten ergeben nun mal zumindest einen großen Teil der ganzen.
Herrlich auch die wunderschönen Fotos und deren Beschreibung.