Lebensraum Autobahn
Text und Scherenschnitte: Erika Bulow-Osborne
21.07. 2016
Mich bewegen immer wieder Neophyten und Neozoen.
Ich habe es versucht, in Worte zu fassen.
"Autobahn- Invasionen"
Früher bin ich viel gereist, Flüge nach Amerika, Canada und Russland waren darunter. Nie überlegte ich, wie viele kleine Lebewesen auf gleiche Weise in weniger als einem Tag in einen neuen Kontinent reisen und sich ansiedeln konnten, denn auch dort gab es immer Möglichkeiten, von Bussen, auf Straßen oder durch menschliche Stiefel und Schuhe weitergetragen zu werden. Invasive Pflanzen erproben das Überleben, sie verharren eventuell etwas länger, bevor sie sich gegen einheimische Pflanzen behaupten, aber dann übernehmen sie häufig das Kommando und einheimische Pflanzen leiden.
Autobahnen sind die schnellste Fortbewegung, auch für Samen.
LKWs fahren durch Europa mit ihren dicken, verschmutzten Reifen und verbreiten mit Erde vielerlei Samen. Sie fallen ab, werden von anderen Autos mitgenommen, sodass besonders Stauungen oder Kreisverkehr zur Beförderung dienen. Algen, Pilze, Moos und blühende Pflanzen aus fremden Ländern verbreiten sich so äußerst schnell.
Auf Autobahnen halten Busse, LKW Fahrer und PKWs an Tankstellen und Raststätten mit Restaurantbetrieben. Alle parkenden Autos hinterlassen Samen im Pflaster. Selbst wenn LKW Fahrer lange unterwegs sind , können ihre "blinden Passagiere" in einer Ruhephase
als Same, Ei, Kokon, oder Puppe große Entfernungen überwinden.
Die kleine ostindische Pharao Ameise verbreitete sich auf solche Weise weltweit und die Asiatische Tigermuecke wurde als Larve in stehenden Gewässern, in mit Regenwasser halb gefüllten Flaschen und Dosen, gefunden.
Auch größere Tiere wanderten als Neozoen ein: Kanadagans,Schwarzkopf-Ruderente,Halsband- Sittig, Rotwangen-Schmuckschildkröte, Bisam-Ratte, Nutria, Waschbär und das Graue Eichhörnchen.
Güterwagen verteilen viele kleine Spinnen auf Schienen und entlang der Bahngleise.
Flugzeuge nehmen oft Mücken mit auf die Reise. In London werden Flugzeuge genau auf Malaria-verbreitende-Mücken und die Asiatische Tigermücke untersucht. London, Paris, Amsterdam, München und andere Flughäfen bemühen sich, solche Passagiere auszumerzen. Der Maiswurzelbohrer aber wird wahrscheinlich bald den europäischen Maisanbau befallen, er kam über weniger kontrollierte osteuropäische Flughäfen.
Jedes Ruder- und Segelboot hilft bei der Neuverteilung kleiner Lebewesen.
Containerschiffe bringen große Mengen von Meereswesen mit, wenn das Ballast-Wasser entlassen wird. Meeresbewohner gelangen so in Häfen und Flüsse.
Der größte Eingriff aber passierte, als man in Europa die Flüsse Neva, Wolga, Don, Elbe, Donau, Rhein und Rhône durch Kanalbauten im Wolga-Don-Kanal, Mittelland-Kanal und im Rhein-Main-Donau-Kanal verband. Der Salzgehalt änderte sich, weil die Ostsee, das Kaspische Meer und das Schwarze Meer etwa die Hälfte des Salzgehaltes eines der großen Meere einbrachten.
Das Mittelmeer erhielt vom salzigen Suez-Kanal und dem Roten Meer eine hohe Anzahl an Fischarten des Roten Meeres. Nur im Panama-Kanal konnte kein solcher Austausch stattfinden, da der Gatun-See reines Süßwasser enthält.
Zurück zur Autobahn. Jürgen Feder muss einer der beste Wildpflanzen-Kenner sein. Er riskierte bestimmt mehr als einmal sein Leben, als er die Autobahnen teilweise in den frühen Morgenstunden erwanderte, um die Vielzahl der Neophyten festzustellen. Ihm verdanke ich einige mir bisher unbekannten Neophyten.
Eine nahrhafte Pflanze mit 30% Öl ist die Winterkresse.Sie wird auch Echtes Barbarakraut genannt.Sie wurde früher als Salat verwendet, da sie vitaminreich ist. Als Heilpflanze wirkt sie blutreinigend.
Das Dänische Löffelkraut, aus dem Norden Europas,ist eigentlich eine Küstenpflanze und braucht Salze. Es hat Senfgeschmack und wächst normalerweise auf Dünen und Deichen.
Das Kahle Bruchkraut an Autobahnen gedeiht durch Streusalz, oder während des Jahres auch bei Toilettenanlagen an Raststätten. Es duftet nach Waldmeister.
Regen schwemmt die Samen und der Wind wirkt als Ballon-Antreiber.
Der Krähenfuß-Wegerich gehört in den Küstenbereich der Nord- und Ostsee, hat aber ebenfalls genug Salze an den Toilettenhäuschen gefunden und gedeiht sehr gut.
Eine lange Blütezeit hat der Färber-Wau und jeder Stängel sitzt voll gelber Blüten. Er kommt ursprünglich aus West- Asien und dem Mittelmeer Raum.. In Deutschland gilt er als Archeophyth und damit als heimisch schon vor 1492, als Kolumbus Amerika erreichte. Er wurde 'indigen',d, h. er siedelte sich ohne menschliches Tun an. Die unscheinbaren, kleinen Schein-Blüten haben Nektar. Die Samen werden vom Wind verstreut , aber besonders auch von Ameisen verschleppt. Färber- Wau war und ist noch eine alte Färberpflanze für Gelb-und Grüntöne. Man nahm sie für Wolle, Seide und Leinen, und selbst für Wandbemalung in den Häusern. Sie wurde häufig in Suffolk,England angebaut.
Das Schmalblättrige Greiskraut stammt aus Südafrika, es ist giftig und verbreitet sich massenhaft.
Es ist ein Teil der kleinsten und artenreichsten Kapflora, mit Winterregengebiet und einem Wüstengürtel. Die Capensis = Kaplora muss ein Paradies für Botaniker sein!
Das Schmalblättrige Greiskraut kam als Wolladventivpflanze (es konnte nur mithilfe des Menschen angesiedelt werden) im 19. Jahrhundert nach Europa und blieb lange in Ruhestellung. Seine starke Ausdehnung geschah erst durch den Bau von Autobahnen.
Winde verteilen seine vielen Samen. Selbst die mittleren Streifen der Autobahnen leuchten durch sein sonnengelb.
Das kaum zu sehende Kahle Bruchkraut ist so widerstandsfähig, dass es, selbst wenn man aus Versehen drauftritt, gleich wieder weiterwächst, im Pflaster der Raststätten und im Sonnenschein.
Der Mauer-Doppelsame kommt vom Mittelmeer, er braucht eine würzige Umgebung und selbst den Blüten macht es nichts aus, wenn man auf sie tritt.
Die Gefleckte Zwergwolfsmilch kommt aus Australien und Amerika.
Der Klebrige Alant stammt ursprünglich aus Bordeaux.
Der Zwerg Holunder ist sehr giftig. Er stammt aus dem Mittelmeerraum und aus dem Iran. Man verwendet ihn zur Dünenbefestigung.
Wildschwein, Fuchs, Reh, Mäuse-Bussard, Fasan und Krähe wissen Autobahnen zu schätzen. Es gibt neben der Gefahr viel Nahrung, Deckungsmöglichkeit und dadurch einen gewissen Schutz.
Autobahnen zerstörten Wälder und Wiesen, sie brachten Lärm, Abgase, Staub und CO2, sie veränderten auch unser Leben. Alles wurde kosmopolitischer und immer mehr lernen wir hinzu über Neophyten und Neozoen im Guten als Biodiversität und als Invasoren, welche einheimische indigene Pflanzen und Tiere schädigen.
Marion Hartmann (Montag, 22 August 2016 15:14)
Das ist wieder ein hochinteressanter Bericht von Erika, für welchen nicht nur eigene Erfahrungen, sondern auch eingehendste Recherchen notwendig waren, um hier ein Gesamtbild zu schaffen, was mir persönlich noch gar nicht so vor Augen stand.
Alles wieder wunderschön unterlegt mit kleinen Kunstwerken.
Ein großes Dankeschön an Erika!
christine (Donnerstag, 11 August 2016 16:09)
Hui, was du alles so weißt, liebe Erika! Gruß
Eva Schmelzer (Montag, 01 August 2016 15:00)
Immer wieder, wenn ich Erikas Artikel mit ihrer so persönlichen Bebilderung lese, wundere ich mich darüber, wie unglaublich groß unsere Tier- und Pflanzenwelt ist, denn in jedem ihrer Beiträge begegnen mir neue, bisher ungekannte Spezies. Hier auch sehr interessant, wie die weltweite Verbreitung in Gebiete abläuft, in die sie eigentlich nicht gehören und in Konflikt mit der angestammten Fauna und Flora geraten. Wie mag es wohl in einigen Jahrzehnten aussehen, denn eine Veränderung in den Möglichkeiten, sich überall zu verbreiten, wird es ja mit Sicherheit nicht geben.