Das Krötenprojekt
Text und Fotos: Gudrun Kaspareit
Gemälde: Karen Heckendorf
29.03. 2014
Ich wohne in einer wundervollen Landschaft zwischen dem Ostseestrand und der sog. Holsteinischen Schweiz, einer Seenplatte in einer Endmoränenlandschaft.
Mein Projekt findet dort auf einem alten Gut und seiner Umgebung statt. Buchenhochwald, Hügel, Tümpel, Teiche, landwirtschaftliche Fläche, alten Eichen, diverse bronzezeitliche Hünengräber und der renaturierte Lachsbach bilden den Rahmen. Auf meinem täglichen Weg zur Arbeit fahre ich hier durch. Immer im Frühjahr, wenn die Kröten wandern, habe ich einen Umweg gemacht, um die Tiere nicht zu überfahren.
Wie alles begann
Eines Sonntagsmorgen, als ich vom Nachtdienst kam, fuhr ich ganz in Gedanken die gewohnte Strecke, anstatt den Umweg. Als ich zu der Hauptwanderroute der Kröten kam und all die zermatschten Kadaver auf der Straße sah, war ich entsetzt. Ich zählte auf einer Strecke von 400 m. 200 überfahrene Individuen - und das in einer einzigen Nacht!
Gestern war Disco-Party in der Festscheune des Gutes gewesen, wie stets einmal im Monat. Flugs rief ich den Partyveranstalter Herrn N. an und erklärte ihm den Sachverhalt. Ich bat ihn, einen Aufruf an seine Gäste zu richten, mit der Bitte, diese Strecke im Frühjahr zu meiden und der Kröten wegen einen Umweg in Kauf zu nehmen. Herr N. lehnte dies ab. Er könne seinen Gästen nicht vorschreiben, wie sie zu fahren hätten. Ich solle mich an die Behörden wenden.
Die Behörden Odysse
Ich stellte also einen frei formulierten Antrag auf Straßensperrung in der fraglichen Zeit und begab mich persönlich zur unteren Landschaftsschutzbehörde. Dort begrüßte man mein Engagement und verwies mich an die Gemeinde des Ortes, da sie selbst solche Entscheidungen nicht treffen dürften.
Ich ging also zur zuständigen Gemeinde, fragte mich durch und landete in dem Büro eines netten Herrn, der mein Engagement begrüßte und mich an den Bürgermeister verwies. Ich tat wie mir geheißen und schrieb dem Bürgermeister Herrn Z. Danach war Geduld gefragt........
In der Zwischenzeit machte ich mich beim NABU und BUND schlau über den Amphibienschutz. Alle lobten mein Engagement, hatten aber selber keine Kapazitäten frei für tatkräftige Hilfe. Dies schien ein grundsätzliches Problem zu sein. Alle finden es gut, die Kröten zu schützen, aber sich des nächtens den Wecker zu stellen, um Kröten zu sammeln, dämpft den Idealismus dann doch empfindlich.
Mir wurde ein Reporter empfohlen, der ein Herz für Tiere hat, den sollte ich bitten einen Aufruf in der Tagespresse zu starten, was dieser gerne tat. Wir vereinbarten einen Ortstermin, machte ein paar Fotos und am nächsten Tag erschien ein ganzseitiger Bericht über das bevorstehende Krötenschutzprojekt, inklusive Aufruf, auf den sich wirklich nette Leute meldeten, um mich zu unterstützen.
Allerdings riefen auch andere Menschen an, z.B. der Partyveranstalter Herr N. Er war fuchsteufelswild, sprach von Ruf und Geschäftsschädigung, von Anzeige und Klage, von Rechtsanwalt und Polizei. In dem Artikel hatte es geheißen: „Motorisierte Partygäste gefährden den Zug der Amphibien zu ihrem Weiher.“ Deshalb wollte er mich verklagen. (Diese Idee ließ er allerdings später fallen, nachdem er sich ausgiebig Luft gemacht hatte)
Auch wurde ich vom Gutsbesitzer GP angerufen, der erst aus der Zeitung von diesem Projekt auf seinem Grund und Boden erfahren hatte. Das war in der Tat ungeschickt gewesen. Ich hätte natürlich zuerst mit ihm sprechen müssen. Ich vereinbarte einen Termin.
Entgegen meiner Befürchtungen, verlief das Gespräch aber sehr positiv. Nachdem ich mich entschuldigt hatte, weil dieses Projekt eine gewisse Eigendynamik entwickelt hatte, war GP sehr nett und bot an, seine Leute und sein Equipment zur Verfügung zu stellen, um den Krötenzaun aufzustellen.
In der Folge trafen wir uns häufig zu Gesprächen, gemeinsam mit dem Bürgermeister Hern Z. und dem Verwalter Herrn K., um das weiter Vorgehen zu planen.
Am 15. Oktober meldeten sich das Amt und bat mich, den Antrag auf einen Krötenzaun beim Ministerium in Kiel zu stellen. Eine Straßensperrung käme aus verschiedenen, bürokratischen Gründen nicht in Betracht. Dazu gab es ein Begleitschreiben, wie ich den Antrag auszufüllen hätte. Als erstes sprang mir folgender Absatz ins Auge: „Nur Anträge, die bis zum 30. September gestellt worden sind, können noch Berücksichtigung finden, denn danach sei Rechnungsabschluss.“ Verdammt 14 Tage zu spät. Ich tat als hätte ich diese Passage nicht gelesen, füllte meinen Antrag für einen mobilen Amphibienzaun gewissenhaft aus und schickte ihn ab.
Inzwischen trafen wir, GP, Herr K., der Bürgermeister und ich uns zu weitern Gesprächen.
GP wollte eine möglichst perfekte Lösung , mit feststehendem Zaun und Tunnel unter der Straße. Die übrigen Herren stimmten zu und meinten ich solle möglichst hoch beantragen, Abstriche würde es ohnehin geben. Ich kontaktierte also einen entsprechenden Ingenieur, mit entsprechendem Patent und ließ mir einen Kostenvoranschlag geben – 300 000-, Euro. Mit einem schlechten Gefühl, angesichts dieser exorbitanten Summe, reichte ich einen erneuten Antrag ein. Gleichzeitig versuchte ich andere Angebote einzuholen und wurde fündig. Für „nur“ 25 000,- Euro. Das wurde Antrag Nr.3. Dann ging das Ministerium in die Rechnungspause und erneut war Geduld angesagt.
Die Zeit wird knapp
Die Sachbearbeiterin des Ministeriums in Kiel, Frau H. hat endlich, Mitte Januar zu diesem Antrag Stellung bezogen. Aus Kostengründen sei es schwierig eine feste Querung genehmigt zu bekommen, allerdings würde sie einem mobilen Zaun zustimmen, der ehrenamtlich betreut werden müsste. (Also, die gute alte Zaun/Eimer Methode, bei der man die Amphibien über die Straße tragen muss) Nach 5 Jahren und nach Auswertung der erhobenen Daten könne noch einmal neu entschieden werden. Folgende Unterlagen und ein neuer Antrag (Antrag Nr 4) seien dazu erforderlich: Eine schriftliche Genehmigung, des Straßenbauamtes, des Wasseramtes, der unteren Naturschutzbehörde, der Gemeinde und des Landeigners. Ferner würde ein genauer Lageplan benötigt, in dem die Winterquartiere, das Laichgewässer, das Sommerquartier der Kröten und die besagte Straße verzeichnet wären. Dazu weiter Daten und Erklärungen. Ich machte mich sofort auf, alle Unterlagen und Unterschriften zu besorgen und schickte sie nach Kiel. Dann ging Frau H. in den Urlaub.
Der Winter war milde, das Frühjahr stand vor der Tür, nicht mehr lange und die Kröten würden ihre Wanderung beginnen. In der Zwischenzeit besuchte ich einen Gutsherrn, der schon seit Jahren Amphibienschutz betrieb, um mir nützliche Ratschläge zu holen.
Frau H. kam aus dem Urlaub zurück und noch am selben Tag rief ich sie an und wies sie auf die Dringlichkeit meines Anliegens hin. In der nach folgenden Zeit wurden wir beste Freundinnen, da wir fast täglich mailten oder telefonierten.
Inzwischen waren weitere 4 Wochen vergangen. Das Geld war noch nicht bewilligt ( Frau H. musste die Unterlagen zur Bewilligung an andere Stellen weiterreichen), der Zaun noch nicht bestellt, geschweige denn aufgestellt. Aber das Wetter war warm, die Vögel sangen den Frühling herbei und ich hatte schon 7 Kröten von der Straße gepflückt.
Endlich schickte Fr. H. einen vorläufigen Zuwendungsbescheid für einen vorzeitigen Maßnahmenbeginn. Der sei zwar nicht bindend, aber sie hätte noch nie erlebt, dass er nachträglich abgelehnt würde.
Ich legte los und bestellte den Zaun an GP`s Adresse. Ich rief ihn an, um das Aufstellen des Zaunes abzusprechen und erfuhr dass GP im Urlaub war. Also besprach ich mich mit dem Verwalter Herrn K. Der jedoch hatte derzeit selber viel auf dem Feld zu tun, bei dem schönen Vorfrühlingswetter und war wenig begeistert. Drei Tage später wurde der Zaun geliefert. Dann erst machte Herr K. einen Termin, um den Zaun zu errichten. Ich trommelte das Team zusammen, informierte die Presse, machte Schnittchen, sorgte für Getränke.
Der Zaun wurde aufgebaut, Freunde vom BUND kamen, um zu helfen. Der Reporter Herr R. berichtete vom Erfolg des Projektes.
Die Kröten wanderten, der Zaun stand, mein Team war bereit. Wir schrieben den 25.2. 2014
Amphibien retten
Nachdem ich allen so viel Druck gemacht hatte, damit es mit dem Zaun noch rechtzeitig klappt, ließen sich die Kröten nun aber reichlich Zeit, denn nachts gab es immer noch Fröste. Allerdings waren die Molche nicht so empfindlich und marschierten schon los. Bis zu Hundert Stück pro Nacht. In erster Linie Teichmolche, ab und zu war ein wunderschöner Kammmolch dabei. Die Kammmolche waren ca. 18 cm. Lang und grau. Sie schimmerten etwas, als ob sie mit Diamantpuder bestäubt worden wären. Ihre Bäuche waren leuchtend orange/schwarz gefleckt. Als ich meinen ersten Kammmolch in die Hand nahm, schlang er seinen Schwanz um meinen kleinen Finger, als ob er Halt und Kontakt suchte.
Diese ersten Nächte waren sternenklar , mondhell und frostig. Durch die dunklen Zweige, der noch kahlen Eichen schimmerten die Sterne.
Der Zug der Kröten kam langsam in Gang und wir merkten, dass der Zaun nicht ausreichend war, er musste verlängert werden. Zu viele überfahrene Tiere lagen auf der Straße. Ich sprach mit Herrn K. Aber dieser war sichtlich genervt und hatte anderes zu tun. Viele Male telefonierte ich mit ihm und hatte schon fast die Hoffnung aufgegeben, als plötzlich der zweite Zaun stand. Ich sah es eher zufällig, als ich vorbei fuhr und inspizierte ihn sogleich. Ständig hielten Autos an und befragten mich nach dem Krötenzaun, waren begeistert und wollten mithelfen. Wir tauschten Nummern und vereinbarten Termine. Dann kam Herr K. persönlich und sah mein Strahlen. Wenn er nicht im Auto gesessen hätte, wäre ich ihm glatt um den Hals gefallen. Er sagte, er sei gestern Nacht hier entlang gefahren und hätte all die Tiere auf der Straße gesehen. Mit den Worten: „ Das ist ja verheerend, das ist ja Mord!“ Hat er sofort am nächsten Tag den Zaun aufstellen lassen.
Von nun an gabs Gedrängel am Krötenzaun. Zum einen wollten die Amphibien so schnell wie möglich zu ihrem Laichgewässer, zum anderen hatte sich mein Team stark vermehrt und jeder wollte mitmachen. Da war das Ehepaar D., das Ehepaar H. und Di., R. brachte seine Freundin mit, ich noch 2 Arbeitskollegen. Es war ungeheuer spannend die Eimer zu inspizieren und zu schauen, was sich alles darin fand. Natürlich Kröten, aber auch Molche, Frösche, interessante Käfer und einmal sogar eine Maus.
Einige meiner nächtlichen Rundgänge wurde von den Rufen und dem frustrierten Fauchen eines Waldkauzes begleitet, dem ich wohl die Tour vermasselt habe denn er war auch scharf auf die Kröten. Er schien immer nah über meinem Kopf in den Zweigen zu sitzen.
Ein anderes Mal hörte ich einen Rehbock ärgerlich bellen, das sollte mir sagen: „ Ich habe Dich bemerkt, Du hast keine Chance mir zu nahe zu kommen.“
Eine stürmische Nacht
Ich war mir bei der Bestimmung von Fadenmolchen nicht sicher, R. hatte einen Freund, der recht kompetent war und da ihn das Thema interessierte, verabredeten wir uns kurzerhand ´morgens um 5:00. Es war eine stürmische und regnerische Nacht. Schlecht für uns, gut für die Kröten. Wir zählten an die 200 Gras und Teichfrösche und über 260 Kröten, so wie Hunderte Teichmolche. Fadenmolche waren leider keine dabei. Diejenigen, die ich für Fadenmolche gehalten hatte, waren junge Teichmolchweibchen, schade. Es war dennoch eine tolle Nacht. Wir sammelten, zählten, fotografierten und plapperten. Wir merkten weder Regen noch Sturm, wir waren voller Eifer. Als es dann langsam hell wurde schwebten zwei Seeadler mit gemächlichem Flügelschlag über den Teich.
Das war das i Tüpfelchen dieser stürmischen Nacht.
In den folgenden Tagen ließ der Sturm nach, ebenso wie der Frost, dafür gab es warme Tage und viel Regen. Das löste eine wahre Kröteninvasion aus. Teilweise landeten bis zu 450 Tiere in den Eimern. Ich habe besonders die Morgenstunden genossen. Wenn es hell wurde, ließ die Wanderaktivität der Kröten nach, dafür begann das Konzert der Vögel. Schwärme von Staren zwitscherten in den Zweigen, ein Rotkehlchen sang, ebenso wie eine Singdrossel. Man hörte einen Kleiber und Spechte hämmerten an die Bäume. Graugänse flogen mit lautem Ruf zu ihren Weideplätzen. Ebenso waren die Kraniche mit Futtersuche beschäftigt, ich hörte ihr helles Trompeten. Und immer wieder überflogen Trupps von Kormoranen das Gebiet von ihren Schlafplätzen hin zur Ostsee zum Fischfang.
Auf dem Heimweg kam ich am herrschaftlichen Teich vorbei. Dort tummelte sich das Wassergeflügel: Kanadagänse, Graugänse, Nilgänse, Brandgänse, Gänsesäger, Stockenten, Reiherenten, Schnatterenten, Blesshühner und Teichhühner.
Später landeten rechts und links der Straße Hunderte von Wachholderdrosseln, hüpften auf den Wiesen nach Futter suchend, um sich für den Weiterflug zu stärken.
Noch ist die Amphibienzählung nicht abgeschlossen, denn noch immer streben sie zum Weiher, wenn auch schon die ersten Tiere abgelaicht haben und zurück kehren. Wenn der Zug der Rückkehrer stärker wird, muss der Zaun weg. Und die Erhebung ist für dieses Jahr abgeschlossen. Die Daten muss ich an das Ministerium weiterleiten. Bis jetzt haben wir:
25 Kammmolche
456 Teichmolche
593 Grasfrösche
60 Teichfrösche
Inzwischen ist die Zählung abgeschlossen und die Zahlen wurden nach oben korrigiert. Der Zaun ist fort, das Projet ist für dieses Jahr beendet. Ich blicke nach dem sonnenwarmen Weiher und höre
ein leises, vielstimmiges, fast zährtliches Knurren und Quaken - dem Balzruf der Frösche.
Marion Hartmann (Samstag, 17 Februar 2018 16:13)
Liebe Gudrun, ich kann es eigentlich immer wieder lesen.., Dein großes Engagement.., und ich hoffe, dass dies Schule macht, egal, in welchem Bereich des Naturschutzes und deshalb finde ich es wichtig, das zu verbreiten.
Das und viel mehr neben Deiner aufopfernden Arbeit in Nachtschichten. Respekt!!!
U.JAKobs (Sonntag, 02 August 2015 16:14)
Toll Gudrun,man muss stark und ausdauernd sein wenn man was erreichen möchte.Es geht ja um die Tiere,die sich nicht selbst helfen können.Hast Du super gemacht.Alle Achtung..