Die Eisblume
Text, Bild und Fotos: Ulrike Beschow
12. 01. 2021
Ein zartes Gesicht lächelt mich an, der Tag schenkt mir einen wundervollen Abschluß.
Ich rätsle um den Ursprung,
Erinnerungen an die Kindheit.
Eine Frau auf der Suche nach Kay.
U. Beschow
Lange habe ich darüber sinniert, was ich im Januar beitragen könnte. Es ist ja nun wirklich nicht die Jahreszeit um Kräuter zu sammeln. Das Wetter ist nicht gerade einladend, viele Tage sind grau und nasskalt. Mit Wehmut habe ich vor ein paar Tagen gelesen, dass in meiner ehemaligen Heimat die Loipen gespurt sind. Abfahrtslauf war nie mein Ding, aber beim Langlauf konnte ich alle Zeit vergessen. Vor 24 Jahren habe ich das letzte mal auf meinen alten Brettern gestanden, jeden Tag, und das 14 Tage am Stück. Wir hatten einen wunderbaren Winter, und meine Touren gingen bei herrlichem Sonnenschein, verschneiten Wäldern und einem Glitzern, was man sein Leben lang nicht vergisst, auf den Valtenberg. Was haben wir diese Winter als Kinder geliebt. Da blieben auch schon einmal die Hausaufgaben bis zum nächsten Morgen liegen, aber ein ganz Eifriger hatte sie zum Glück immer gemacht. Wenn der Spaß zu Ende und die Sonne untergegangen war, stapften wir über die zugeschneiten Wiesen bei Mondschein nach Hause. Bei diesem unglaublichen Glitzern und Leuchten ringsum fühlte man sich wie in einer Märchenwelt. Die "Winterausrüstung" bestand aus einfachen Skischuhen, in die man noch Schafwollsocken zog, welche wir dann am Abend neben den Kachelofen stellen konnten - sie waren gefroren. Auf meinen Heimwegen, wir wohnten etwas abseits direkt am Wald, bin ich oftmals einem Fuchs begegnet und Rehen, welche versuchten unter dem Schnee etwas Futter zu finden. Wir haben aber den Tieren des Waldes immer mit Heu und anderem Futter über den strengen Winter geholfen. Oft habe ich dann im Dunkeln aus meinem Fenster gesehen und die Tiere direkt darunter beobachtet. So wie die schöne Kinderzeit der Vergangenheit angehört, so sind auch die schönen Winter, gerade hier im Münsterland, nur noch sehr, sehr selten. Mit ihnen sind auch die wunderschönen Eisblumen vom Aussterben bedroht oder schon vollkommen verschwunden.
Diese beliebte Wasserpflanzenart hat ihren Ursprung wahrscheinlich in den nördlichen Ländern bis weit in den Osten, auch in einigen Teilen von Europa kann man sie noch antreffen. Am häufigsten aber findet man sie in Ländern, in denen der technische Fortschritt noch nicht soweit fortgeschritten ist und noch ein eher einfaches Leben vorherrschend ist. Die schönsten ihrer Art findet man auf einfachen Fensterscheiben, welche noch nicht doppelt verglast, also sehr dünn sind. Hier findet die Eisblume als Flachwurzler ihren besten Nährboden. Was sie aber unbedingt für ihr Wachstum benötigt ist eine gute Luftfeuchtigkeit.
Wenn der Winter mit Frostgraden Einzug hält, beginnt ihre Vegetationsphase. Ich stelle mir gerade eine verschneite, kuschelige Hütte auf einer Alm vor, das Feuer knistert im Kamin, der Teekessel pfeift und dampft. Der Sonnenaufgang ist wieder einmal fantastisch und dann - ich muß mich setzen - die ersten Eisblumen sind aufgegangen, es gibt sie noch. Das warme Haus mit seiner Luftfeuchtigkeit hat seinen Teil dazu beigetragen, dass über Nacht, wie aus dem Nichts, diese wunderschönen Gebilde gewachsen sind. Wenn Ihr selbst diese Pflanzenart einmal kultivieren wollt würde ich wie folgt vorgehen: Wer noch in einem alten Haus mit einfachen Fenstern lebt, hat sicherlich die besten Voraussetzungen. Manchmal gibt es noch einen alten Schuppen oder eine einfache Garage mit diesen Fenstern. Wenn man das Wachstum beeinflussen möchte, sollte man schon beim letzten Fensterputz im Spätherbst darauf achten, wie die Wischrichtung unseres Putzlappens ist, da er trotz aller Gründlichkeit Spuren auf dem Glas hinterlässt. Bekanntlich lagern sich ja auch wieder alle möglichen Partikel auf der Scheibe ab, auch diese haben Anteil an Form und Vielfalt. Man hat aber auch schon wunderbare Vertreter auf Autodächern oder anderen Oberflächen gesichtet: Nach einer Schneeschmelze oder nach Regen auf Pfützen, wenn der Frost wieder übers Land zieht und die Schneekönigin im Schlepptau hat, findet man eher grobschlächtigere Vertreter ihrer Art. Hier schreckt sie auch nicht davor zurück alles Andere, wie z. B. Laub oder andere Pflanzen, zu überwuchern. Hier verhält sie sich wie ein Neophyt. Bei einem
schönen Winterspaziergang entlang eines Bächleins, kann man an den Ufern hin und wieder Vertreter mit bizarren Formen und Farben entdecken. Farben?
Hier wurden ihnen anscheinend Nährstoffe aufgezwungen, welche sie gar nicht benötigen. Achtet daher beim Sammeln bitte darauf, dass sie ein reines Weiss besitzen und im Sonnenlicht des Abends einen bläulichen Schimmer bekommen. Zum eigenen Anbau sei noch gesagt, dass ihr sie nicht in der Nähe von Sonnentau, Sonnenblumen, Sonnenhut oder andern Pflanzen, welche die Sonne im Namen tragen, aussäht. Sie vertragen sich überhaupt nicht miteinander.
Heilwirkung
Seit Alters her sind Eisblumen als Therapie- und Heilmittel bekannt, welches nur die Nebenwirkungen Glücklichsein und träumen erzeugt. Vor allen Dingen wurden sie nervösen, unruhigen Kindern verordnet, aber auch bei Erwachsenen zeigen sie durchaus eine nachhaltige Wirkung. Bei depressiven Verstimmungen, oder Phasen von Niedergeschlagenheit und Kraftlosigkeit, kann schon eine viertel Stunde der Betrachtung die wahrsten Wunder bewirken. Dafür braucht es weder Geld noch eine Apotheke. Allerdings sollte man beim Betrachten an einem Fenster darauf achten, dass einem die Nase nicht festfriert, falls man einnickt. Wenn Kinder sich satt gesehen haben, kann man sie mit Pinsel, Stift und Farbe auch noch daran hindern sich an den PC zu setzen oder sich wieder mit Hingabe dem Smartphone zu widmen. Es ist immer ganz wichtig das Gesehene zu verarbeiten. Das geht am Besten wenn man es sich zeitnah bildlich vorstellt und auf Papier bringt, denn das fördert das räumliche Vorstellungsvermögen. Ganz wichtig bei einem kaputten Navi. Man kann Kindern nach ihrer Betrachtung, wenn diese am Abend stattgefunden hat, auch zum Einschlafen noch "Die Schneekönigin" vorlesen, was förderlich für einen gesunden Schlaf ist und zum Gefühl der Geborgenheit führt. Bei hitzigen Gemütern führt schon allein der Gedanke an die eisige Oberfläche für Abkühlung. Da allerdings die Phase ihres Erscheinens eher kurz ist, muss man sich ziemlich beeilen sie zu nutzen. Schon bei den ersten warmen Sonnenstrahlen ziehen sie sich zurück und wir müssen bis zum nächsten Winter warten. Wie ich schon am Anfang sagte, kommen sie nur noch ganz selten vor und wahrscheinlich stehen sie schon auf der Roten Liste. Deshalb möchte ich auch dringend davon abraten sie zu sammeln. Nur in wirklich akuten Situationen sei es in kleinen Mengen erlaubt. Nutzt einfach die kurzen Phasen ihres Erscheinens.
Räuchern
Mit Eisblumen in einer Schale auf Kohle räuchern ist zugegebener Weise etwas schwierig, das geht besser in einer Duftlampe für schöne Träume. Nehmt hierfür am besten die groben von den Pfützen, denn sie lassen sich einfach abnehmen, was am Fenster eher schlecht geht. Legt sie in eine Duftlampe mit einer schönen Kerze darunter. Nun müsst Ihr Euch nur noch entspannen, Euch die wunderbaren Formen und ihren Duft vorstellen, und schon kann das Träumen beginnen.
Verwendung in der Küche
In der heutigen Zeit würde ich das Auftauen der Eisblumen nicht mehr empfehlen, Ihr wisst leider alle warum. Aber hier kann man sich behelfen. Hier muß ich einmal anführen, dass es auch essbares Eiskraut gibt. Zum Beispiel das "Echte Eiskraut" - Mesmbryanthenum crystallinum und ein "Eiskraut" - Aptenia cordifolia, was ausdauernd und besser zu überwintern ist. Die beiden habe ich bei Rühlemanns Kräuter- und Duftpflanzen gefunden. Ob es noch mehrere essbare Vertreter gibt, habe ich jetzt nicht recherchiert. Man kann aber beide Arten hervorragend komplett im Salat verwenden. Zudem sehen auch die filigranen Blüten ganz entzückend aus. Hier kommt nun wieder das Wasser mit ins Spiel. Wenn wir doch einmal wieder Feste oder Partys feiern dürfen, möchten wir unseren Gästen meist etwas Besonderes anbieten und das geht nun fast zu jeder Jahreszeit. Zaubert Euch einfach in Eiswürfel die unterschiedlichsten, essbaren Blüten und davon gibt es jede Menge. Manch Einen wird das vielleicht etwas irritieren wenn da später etwas in seinem Drink schwimmt, er hat es nur noch nicht probiert. Und da nicht alle Bauern sind, wird es der eine oder andere schlucken. Mit Minze-, Basilikum-, Melisse- oder anderen aromareichen Blüten, kommt auch noch ein ganz eigenes Aroma, was man geschmacklich ja abstimmen kann, mit hinein.
Ich hoffe Ihr hattet ein wenig Spaß beim Lesen. In dieser, schon etwas seltsamen Zeit, kann es nicht schaden, nicht auch noch den Humor zu verlieren. Da ich leider keinen lateinischen Namen für diese Gattung gefunden habe, steht am Anfang die russische Übersetzung, da sie ja in diesen Breiten noch mit am häufigsten vorkommt. Dieses mal kann ich auf meinen üblichen Hinweis verzichten, denn die Nebenwirkungen sind eher erwünscht, Ihr braucht also keinen Arzt Eures Vertrauens hinzuziehen. Wenn Ihr Euren Kindern die Natur näher bringen möchtet, könnt Ihr ja vielleicht Eisblumen suchen gehen oder auch die Vogelhochzeit am 26. Januar feiern. Dazu gibt es ein schönes Volkslied dessen Wurzeln bis ins Jahr 1530 zurückgehen. In der Lautentabulatur Hainhofers (1604) ist es mit 40 Strophen enthalten (Deutsche Volkslieder, für Singstimme und Klavier, Edition Peters, Leipzig, S.226. Dazu gibt es Süßigkeiten und Teigvögel, wobei die Kinder ihre Teller auf das Fensterbrett stellen. Dieses Fest wird besonders in der sorbischen Region um Bautzen gefeiert. Nun möchte ich für heute mit der 13. Strophe dieses Liedes meinen Artikel beenden: "Der Uhu, der Uhu, der macht die Fensterladen zu. Fidirallala, Fidirallala, Fidiral- la- la- la- la ."
Alle Fotos und Bilder: © U. Beschow
Eva Schmelzer (Freitag, 15 Januar 2021 17:34)
Herrlich originell ist dieser Artikel! So sehr ich Ulrikes „normale“ Kräuterartikel auch schätze, aber so gelacht habe ich noch bei keinem! Doch auch die Beschreibung der längst vergangenen Wintertage in einer Märchenwelt zu lesen ist wunderschön, sie hat mich in meine Kindheit der Nachkriegsjahre versetzt, in der ich selbst auch noch Eisblumen an unseren Fenstern bewundern konnte. Ich habe also die Nebenwirkungen der Therapie- und Heilblume, Glücklichsein und Träumen, gerade durchlebt. Danke!