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Kanwan

Die Brennnessel

Text, Fotos und Gemälde: Ulrike Beschow

11.04.2022

Unverwüstlich und kraftvoll.

Sie weiß sich zu behaupten.

 

Als eine der ersten schenkt sie dem Erlenbruch vor unserem Haus einen

grünen Teppich.

 

Nach einem langen Winter

nehmen wir ihr Geschenk dankbar an.

 

Der Weg hinunter zum Bach ist mitunter sehr reizvoll, und man spürt das kribbelnde Leben im

Hier und Jetzt.

 

Ulrike Beschow

 

 

- Urtica dioica L.- (große Nessel)

 

Hier zu sehen ist ein frischer Sprössling der "Großen Brennessel". Er wächst in holder Eintracht mit Scharbockskraut, Goldnessel und Klebkraut.
Hier zu sehen ist ein frischer Sprössling der "Großen Brennessel". Er wächst in holder Eintracht mit Scharbockskraut, Goldnessel und Klebkraut.

Inzwischen leben wir in einer sehr ungewissen Zeit, wir wissen nicht, was uns das Morgen bringen wird, geschweige denn, dass vor uns liegende Jahr. Es gibt viele Tage an denen ich mich in die Beschaulichkeit meiner Kindertage zurück wünsche, es ist noch gar nicht so lange her. Junge Menschen würden mich als "Dino" bezeichnen, aber auch sie werden erfahren, dass es bei ihnen nicht anders ist als bei Menschen in meinem Alter. Wir können nur in unserem eigenen Umfeld versuchen die Welt etwas besser zu machen und unseren eigenen Frieden zu finden, auch wenn es momentan sehr schwer fällt. Deswegen möchte ich mich in diesem Monat wieder einer sehr starken Pflanze widmen, der Brennessel.

 

Wer kennt sie nicht, zumindest vom Sehen her, diese oft sehr majestätische Pflanze? Von den Einen geliebt, von den Anderen gehasst. In Gegenden, wo Kinder noch die Möglichkeiten haben in der Natur zu spielen und nicht vor dem TV oder PC „abgestellt“ werden, machen sie oft mit deren prickelnder Eigenschaft Bekanntschaft. Dabei gibt es eine einfache, schnelle Lösung diese Reizwirkung abzumildern. Häufig wächst in der Nähe der Brennessel eine oder mehrere Pflanzen vom großen Ampfer (Rumex). Wenn man nun ein Blatt dieser Pflanze „zusammenknüllt“, so dass der Pflanzensaft austritt und diesen über die „verbrannte“ Stelle streicht, so lässt die unangenehme Wirkung sofort nach. Diese Methode hilft sogar bei Wespenstichen, wie ich selber am eigenen Leibe beim Himbeerpflücken erfahren konnten. Fünf Minuten nach dem Stich war von ihm nichts mehr zu spüren. Ihre brennende Eigenschaft gab dieser Nessel auch ihren Namen, sowohl im Deutschen als auch im Lateinischen (Urtica leitet sich von „urere“ ab = brennen)

 

Die Brennessel siedelt sich häufig in der Nähe von menschlichen Siedlungen an und besonders gerne an Abfallplätzen, wo altes Eisen lagert oder wo Tiere und Menschen ihre Ausscheidungen hinterlassen haben. Auch hier sieht es so aus, als würde Mutter Erde sie genau dorthin schicken um diese Plätze zu reinigen. Als wir in unser kleines Häuschen eingezogen sind haben wir einen großen Teil der Fläche vor dem Haus erst einmal von ihr „reinigen“ müssen. Dabei haben wir der Pflanze erklärt, dass wir zwar überhaupt nichts gegen sie haben, aber doch gerne auch anderen Pflanzen die Möglichkeit geben wollen sich hier anzusiedeln. Jetzt nach gut zwei Jahren haben wir den Eindruck, dass sie deshalb nicht mit uns hadert. Sie hält sich zurück, gedeiht prächtig auf dem ihr zugedachten, großflächigen Areal im Erlenbruch, und es fühlt sich so an, als hätten wir Frieden miteinander geschlossen. Wir haben weiterhin viel Freude an dem reichhaltigen Angebot dieser Pflanze und wissen sie sehr zu schätzen. Die Möglichkeiten ihrer Nutzung sind enorm vielfältig, doch darüber später mehr.

 

Überall auf der Welt ist die Brennessel zu Hause. Viele Dichter haben sich von dieser Pflanze inspirieren lassen, ihr Gedichte gewidmet und auch Märchen. Einige von Ihnen werden vielleicht das alte Märchen „Die sechs Schwäne“ aus der Sammlung der Gebrüder Grimm kennen. Da die Nessel die Eigenschaft besitzt einen recht rigoros ins Hier und Jetzt zu katapultieren, konnten nur die Nesselhemden die verwunschenen Schwäne wieder zurück verwandeln in das, was sie ursprünglich einmal waren: Königssöhne. Dr. Wolf- Dieter Storl hat die Märchen, mit der dahinter steckenden Mythologie hervorragend in seinen Büchern erklärt. Hier wird schon eine der vielen Verwendungsmöglichkeiten der Brennessel angedeutet: Sie ist eine hervorragende Faserpflanze, was leider so ziemlich in Vergessenheit geraten ist. Aus ihr lassen sich sowohl feine Stoffe für die Bekleidung als auch derbe Seile herstellen. Noch in den 70 er Jahren gab es bei uns Nesselstoff zu kaufen. Ich habe mir daraus Kleider und Blusen genäht, sie waren im Sommer sehr angenehm zu tragen. Diese langwierige, anstrengende Arbeit wurde in alten Zeiten hauptsächlich, wie auch sonst, von den Frauen bewältigt. So wie die drei Nornen unter der Weltenesche Yggdrasil (Urd- der Ursprung, Werdandi- das Werden und Skuld- die Schuld), mit ihren Spindeln den Lebensfaden der Menschen spinnen, so spannen diese Frauen auch am Wohlergehen ihrer Höfe. Die Brennesseln wuchsen dicht um die Häuser und boten Schutz vor negativen Energien und nach dem harten Winter ausreichend gesunde Nahrung und Material für Bekleidung. Größere Brennnesselwälder sollten auch die Orte der Geister und Heinzelmännchen sein. In seinem Buch „Heilkräuter und Zauberpflanzen“ schreibt Wolf-Dieter Storl eine Anekdote über die Zigeuner Siebenbürgens, die diese kleinen Erdmännchen Pchuwuschen nennen. Diese kleinen Männlein sollen behaart, hässlich und äußerst geil sein. Auch bedienen sie sich gerne einer Menschenfrau für ihre Fortpflanzung. Diese Frauen wissen oft nicht, was ihnen geschieht, sie fühlen sich einfach nur von den Nesseln angezogen. Die unsichtbaren Pchuvuschen, die sie alsbald gebären, erscheinen ihnen höchstens im Traumgesicht. Drei goldene Haare wachsen diesen Männlein auf dem Kopf und wem es gelingt eines davon auszureißen, der kann Steine in Gold verwandeln. Wer sich noch intensiver mit der Mythologie der Brennessel befassen möchte, dem sei dieses Buch von Dr. W.- D. Storl wärmstens empfohlen.

Da das Frühjahr eine optimale Zeit für eine Reinigung unseres Körpers von alten winterlichen Schlackenstoffen ist, sollten wir uns jetzt vermehrt den wilden Pflanzen zuwenden.

 

Heilwirkung

Die Brennessel kommt wegen ihrer Vielfalt an Wirkkraft bei sehr vielen Erkrankungen und Beschwerden sowohl beim Menschen als auch bei Tieren zum Einsatz. Sie ist besonders gut für Frühjahrskuren geeignet, da sie blutreinigend wirkt, die Schlacken aus dem Körper transportiert und die lästige Frühjahrsmüdigkeit vertreibt. Den gesamten Stoffwechsel regt sie an und wirkt blutbildend. Gerne wächst sie auf eisenhaltigen Böden und reguliert gleichzeitig dessen Eisengehalt. Die reifen Samen, die leicht nussig schmecken, haben einen hohen Gehalt an Mineralien wie Calcium, Kalium, Magnesium und ebenso an Vitaminen und Phytohormonen. Dies alles sind Stoffe, welche unser Körper für ein gesundes, vitales Funktionieren benötigt. Hippokrates empfahl die Brennessel zur Reinigung von Blut und Leib. Hildegard von Bingen verwendete sie als Wurmmittel, bei Lähmungserscheinungen und mit Dill und Liebstöckel in gutem Wein gekocht bei Lungenschmerzen. Ferner wirkt die Brennessel bei Harnwegserkrankungen, bei Verstopfung und Durchfall (sie wirkt darmregulierend), bei Magen- und Nierenschwäche, sowie bei Bluthochdruck. Allerdings sollte sie nicht bei Ödemen, die durch mangelnde Herz- oder Nierentätigkeit hervorgerufen werden, angewendet werden. Bei Diabetikern unterstützt ein Tee aus dem Kraut die Funktion der Bauchspeicheldrüse und hilft den Blutzuckerspiegel zu senken. Die reinigende Wirkung wirkt sich auch positiv auf unsere Haut aus, vor allem wenn man von Pickeln und Ekzemen geplagt wird. Ein starker Tee, gebrüht mit dieser Pflanze, regt als Haarspülung die Durchblutung der Kopfhaut an und kräftigt das Haar.

 

Männer, welche sich mit einer beginnenden, gutartigen Prostatahyperplasie (Vergrößerung) plagen, sollten zur Therapieunterstützung einen Wurzeltee trinken und dies mit einer Wurzeltinktur ergänzen. Da der Brennnesseltee harntreibend ist (nicht vor dem Schlafengehen trinken), werden bei Gicht oder Rheuma die abgelagerten Schlacken aus dem Körper geschwemmt. Bei diesen Erkrankungen wird für die Hartgesottenen auch die so genannte Urtifikation empfohlen. In diesem Fall werden die betroffenen Glieder und Gelenke mit Brennnesselruten geschlagen. Diese „Tortour“ fördert die Durchblutung sehr stark, so dass die Schlacken besser abtransportiert werden können. Es kostet das erste Mal ein wenig Überwindung, aber wenn man nach kurzer Zeit den Erfolg spürt, hat sie uns überzeugt. Die Brennessel hilft aber nicht nur uns Menschen und den Tieren in Bezug auf die Gesundheit. Auch im Garten wissen wir sie sehr zu schätzen, da sie bei der Bekämpfung von Schädlingen und zur Kräftigung der Pflanzen sehr hilfreich ist. Dafür stellt man eine Brennesseljauche her, wofür man ein Gefäß (kein Metall) mit Brennesseln und Regenwasser füllt und diese Mischung zugedeckt drei Wochen in der Sonne stehen lässt. Wen der Geruch dieser Jauche zu sehr stört, der kann dieser Mischung eine handvoll Steinmehl beifügen um dieses Problem zu lösen. Hin und wieder sollte dieses Gebräu auch mal umgerührt werden. Zum Gießen der Pflanzen wird die Jauche im Verhältnis 1:10 mit Wasser verdünnt. Stark zehrende Pflanzen wie Tomaten und verschiedene Kohlsorten nehmen diese Gabe dankbar an. Auch Minzepflanzen wissen von der Nähe zu Brennesseln zu profitieren: Sie bekommen ein kräftigeres Aroma.

 

Und nicht zuletzt bereiten wir den Schmetterlingen in unserem Garten etwas Gutes wenn wir die Brennessel in unsere Gartenplanung mit einbeziehen und sie als das erkennen, was sie letztlich ist: Eine große Heilerin. Angesichts der enormen Verwendungsmöglichkeiten dieser Pflanze überrascht es nicht, wie in Frankreich bereits geschehen, dass die Pharmakonzerne bestrebt sind das Alleinvermarktungsrecht an dieser Pflanze zu erwerben. Wir jedenfalls werden auch weiterhin nicht auf die Brennessel in unserem Kräutertee verzichten. Zum Einen sind wir davon überzeugt uns etwas Gutes zu tun und zum Anderen wissen wir das Aroma dieser Pflanze sehr zu schätzen.

 

Verwendung in der Küche

Obwohl unsere Großmütter zumeist begnadete Köchinnen waren, haben sie uns mit ihren Brennesselsuppen den Genuss dieses vitalen Gemüses jahrelang verleidet. Als Kinder konnten wir uns einfach nicht vorstellen, dass man dieses biestige Unkraut essen kann. Da wir aber als Kinder alles probieren mussten, was auf den Tisch kam, wurden wir in unserer Überzeugung noch bestätigt: Man kann es einfach nicht essen! Unterdessen, über viele Jahre hinweg, hat sich diese Überzeugung vollkommen aufgelöst, und wir freuen uns jetzt im Winter schon wieder auf ein leckeres, selbst

 

gebackenes Brot mit frischen, jungen Brennesseln. Mein erstes dieser Sorte habe ich in den letzten Tagen schon gebacken. Auch gegen ein anderes Vorurteil hat sie sich immer noch zu erwehren: In den Nachkriegsjahren galt sie als ein Armeleuteessen, was ihr immer noch, gerade bei der älteren Generation – völlig unberechtigt - anhängt.

 

Eins wollen wir hier vorweg stellen: Beim Kochen verlieren die Brennesseln ihre „brennenden“ Eigenschaften und für die Verwendung in frischen Kräutersalaten kann man sie kurz mit kochendem Wasser überbrühen. Dieses äußerst gesunde Kraut ist in der Küche sehr vielseitig einsetzbar. Ob in Salaten, Suppen, Saucen, Omeletts, Bratlingen oder in Nudel- und Brotteigen, ihrer Verwendung sind fast keine Grenzen gesetzt. So kann man z.B. die frischen Blätter in einen Pfannkuchenteig tauchen und in Fett ausbacken. Die im frühen Herbst gesammelten reifen Samen liefern das ganze Jahr über viele Mineralstoffe und man kann sie einfach über das Essen streuen und sich des leicht nussigen Geschmacks erfreuen. Ostern steht vor der Tür und es ist Zeit für eine "Neunkräutersuppe". Nach christlicher Tradition wird sie am Gründonnerstag gegessen. Aber glaubt mir, sie schmeckt auch an anderen Tagen im Frühjahr sehr lecker. Hier ist die Brennessel ein Muß.

 

Hier liegt es an Euch Ihre ganz eigene Zusammenstellung zu finden. Als Improvisationsanleitung mag Euch unsere Vorgehensweise dienen: Wir geben etwas Kurkuma ins heiße Fett (Butter oder Olivenöl), schmoren es kurz an, geben eine Prise Zimt hinzu und wenn dieser anfängt zu duften (was sehr schnell der Fall ist) gewürfelte Zwiebeln. Der Zimt gibt Wärme, aber er darf nicht verbrennen. Wer möchte, kann auch noch geriebenen Ingwer beifügen. Nun kommen die frischen, gewaschenen Kräuter hinzu und werden gedünstet bis sie zusammenfallen. Dies alles wird mit Gemüsebrühe abgelöscht und bei mittlerer Hitze weich gekocht. Dann kommt noch etwas Knoblauch und Creme Fraiche oder Sahne hinzu und anschließend wird alles püriert und mit Salz und Pfeffer abgeschmeckt. Wer möchte kann die Suppe auch noch mit Eigelb legieren. Als letzter Pfiff kommen noch ein paar Blüten von Gänseblümchen darüber – das Auge isst ja bekanntlich mit. Vom zeitigen Frühjahr bis hin zur Blüte kann man die Brennesselblätter nutzen, wobei man später im Jahr die frischen Triebspitzen verwendet.

 

Auch diese beiden Krabbeltierchen (Brennessel- Blattrüssler) scheinen diese energiereiche Pflanze zu genießen.

 

Tun wir es ihnen gleich, laßt uns die Kraft des frühen Jahres nutzen, wir brauchen sie mehr den je.

Brennnessel Blattrüssler
(c) Ulrike Beschow Brennnessel Blattrüssler

 Brennessel, verkanntes Kräutlein

 

Brennessel, verkanntes Kräutlein, Dich muß ich preisen,

 

Dein herrlich Grün in bester Form baut Eisen,

 

Kalk, Kali, Phosphor, alle hohen Werte,

 

Entsprießend aus dem Schoß der Mutter Erde,

 

Nach ihnen nur brauchst Du Dich hinzubücken,

 

Die Sprossen für des Leibes Wohl zu pflücken,

 

Kommentare: 1
  • #1

    Eva Schmelzer (Freitag, 15 April 2022 18:50)

    Mit herrlichen Worten hat Ulrike Beschow die Verbindung der Geschehnisse der heutigen Zeit zur Brennnessel geschaffen. Und liebevoll hat sie der Pflanze eine Seele eingehaucht als sie sich mit ihr den Lebensraum Erlenbruch teilte. Natürlich ganz zu schweigen von den so vielfältigen anderen Geschichten und Informationen rund um die Brennnessel. Ich werde mit Sicherheit einiges davon praktizieren.