Der Beinwell
Text, Fotos und Zeichnung: Ulrike Beschow
11.10.2021
Majestätisch und kraftvoll
behauptet er seinen Platz.
Er strotzt regelrecht vor Kraft.
Lange wird es nicht mehr dauern,
und die kunstvoll aufgerollten
Schnecken lassen die hübschen
Blüten frei.
Ulrike Beschow
Symphytum officinale
Familie: Raublattgewächse- Boraginaceae
So langsam neigt sich die Kräutersammelsaison dem Ende entgegen. Auch wir konzentrieren uns im Moment auf das Sammeln von Pilzen. Hauptsächlich wandern nur noch Steinpilze und Reizker in unseren Korb, erstere zum Trocknen und Reizker für das Gefrierfach. Sie sind immer eine willkommene Abwechslung auf dem winterlichen Speisenplan. Aber im späten Herbst beginnt die Zeit des Wurzelstechens. So habe ich mich diesmal für eine Pflanze entschieden, die mich schon viele Jahre begleitet und die ich nicht mehr missen möchte: den Beinwell.
Zuerst möchte ich versuchen den Unterschied zwischen Beinwell und Comfrey zu erklären, der auch mir etwas Kopfzerbrechen bereitet hat. Viele Quellen reduzieren diesen lediglich auf die sprachliche Bedeutung, die da besagt, dass Comfrey die englische Bezeichnung für Beinwell ist. (Wertvolle Hinweise diesbezüglich fand ich unter anderem in dem Buch „Medizin der Erde“ von Susanne Fischer-Rizzi). Dies ist zwar richtig, aber doch nur eine Teilwahrheit, denn beide Pflanzen unterscheiden sich sowohl im Wuchs als auch in den Inhaltsstoffen und ebenso in der lateinischen Bezeichnung, wo „Symphytum peregrinum“ für den Comfrey steht. Dies bedeutet in der Übersetzung „der aus der Fremde kommt“. Es handelt sich dabei um eine Kreuzung aus dem einheimischen Beinwell und einer Art, die im fernen Sibirien beheimatet ist. Unterdessen hat sich diese Pflanze in unseren Breiten etabliert, während der echte Beinwell zumindest in der Gegend, in der wir leben, nur noch selten zu finden ist. Der Comfrey wird größer als der gewöhnliche Beinwell und die Blätter und Stängel sind weniger borstig, weshalb er auch häufig als Futterpflanze verwendet wird. Im Gegensatz zum Comfrey enthalten die Blätter des einheimischen Beinwell einen Inhaltsstoff namens Symphyto- Cynöglossin, allerdings nur in sehr geringen Mengen. Dieser ist es, der die schmerzstillende Wirkung beim Auflegen auf Wunden bewirkt.
Beinwell kommt in Nordamerika, Asien und Europa bis Sibirien vor. Er wächst oft auf nassen Wiesen, auf Waldlichtungen und an Flussufern.
Vor ein paar Jahren hatten wir uns ein kleines Stück Land für Kräuter und Gemüse gepachtet, welches für diese Zwecke erst einmal bearbeitet werden musste, da es wohl schon einige Jahre ungenutzt, jedenfalls von Menschen, brach lag. Vor uns war dort schon einmal eine Gartengruppe tätig und hatte den Comfrey angebaut. Der Besitzer des ganzen Grundstückes besaß auch ein paar Wollschweine, die er nach unseren Vorgängern auf diese Fläche zum „Pflügen“ ließ. Nun, sie haben gepflügt, vor allem den Comfrey. Jedes noch so kleine Wurzelstückchen trieb neu aus, so dass wir ein jedes Mal, wenn wir wieder auf unserer Fläche arbeiten wollten, erst einmal den neu gesprossenen Beinwell ausgraben mussten. Und wehe, wenn etwas übersehen wurde. Ein schier ungebremster, nicht zu bändigender Lebenswille ließ alsbald neue Pflanzen austreiben. Allerdings wuchs auf der benachbarten Fläche noch reichlich davon, und den haben wir natürlich nicht angerührt. Den Pflanzen auf unserer Fläche haben wir unser Handeln erklärt und sie gebeten doch nicht böse zu sein. Wenn wir auf unserem Vesperplätzchen saßen hatten wir ein paar bemerkenswerte Beinwellpflanzen direkt neben uns. Die schönen Blütenstände, aus denen sich nacheinander die kleinen Blüten ausrollen, zogen zahlreiche Hummeln an, die uns ihr Konzert brummten.
Wenn Sie in Ihrem Garten Beinwell anpflanzen wollen, so planen Sie etwas mehr Platz ein, so etwa einen qm. pro Pflanze. Auf guten Standorten wird der Comfrey gut einen Meter hoch.
Die Familie der Raublattgewächse enthält ca. 40 verschiedene Beinwellarten. Benannt ist diese Pflanzenfamilie (Boraginaceae) nach dem Borretsch (Borago). Der Beinwell ist eine beachtenswerte Gewürz- und Salatpflanze mit wunderschönen, sternförmigen, und je nach Licht- und Bodenverhältnissen blau- violetten oder weißgelben Blüten. Früher wurden die Pflanzen mit den violetten Blüten als „Beinwellmänchen“ und die mit den gelblichen die „Beinwellweibchen“ bezeichnet.
Wie alle anderen Pflanzen auch, so hat auch der Beinwell im Volksmund die unterschiedlichsten Namen. Man nennt ihn Beinheil, Wallwurz, Schwarzwurz, Beinbrechwurz oder Milchwurz. Schon der Name Beinwell sagt Vieles über die hauptsächliche Verwendung dieser Pflanze aus. „Bein“ ist ein altes Wort für Knochen und „Well“ oder „Wallen“ ein ebenso altes Wort für Zusammenwachsen oder Heilen. Hildegard von Bingen nannte diese Pflanze auch „Consolida“, was festmachen bedeutet. Bereits in vorchristlichen Zeiten wurde die starke Heilkraft des Beinwell sehr geschätzt.
Der botanische Gattungsname Symphytum kommt vom griechischen symphyein und bedeutet zusammenwachsen. Der Artname officinalis heißt, dass die Pflanze als offiziell anerkannte Heilpflanze geführt wurde. Bereits die mittelalterlichen Apotheker hielten diese Pflanze in ihrem Arbeitslabor, der „officina“, vorrätig. Auch stellten die mittelalterlichen Gelehrten die Pflanze mit den rauen Blättern und den zumeist blauen Blüten unter die Herrschaft des Saturns.
„Er wurde oft als Knochenmann dargestellt und zieht ganz tief am Himmel seine Bahn, am äußersten Rand der Planetensphären. Im menschlichen Mikrokosmos wirkt Saturn ebenfalls bis in die tiefsten Tiefen hinein, bis in die Knochen“.
Auch wurden dem Beinwell einige magische Wirkungsweisen nachgesagt. So sollte er Schutz auf Reisen gewähren und in die Reisetasche gelegt verhinderte er deren Abhandenkommen. Die Wurzel dagegen sollte für einen Geldzauber genutzt werden.
Den Schleim der Wurzel nutzten früher die Gerber, indem sie diese auskochten und damit das Leder geschmeidig machten. Maler brauten daraus eine intensive, rote Farbe und vermischten diese mit Pigmenten und Öl. Auch harte Fasern wie z.B. Kamelhaar wurden damit angefeuchtet, so dass sie besser verarbeitet werden konnten.
Heilwirkung
Viele Menschen, gerade mit zunehmendem Alter, haben Probleme mit dem Bewegungsapparat. Deshalb möchte ich hier seine Hauptanwendung vorstellen.
Schon der Militärarzt Dioskurides lobte den Beinwell außerordentlich, hatte er doch vor allem Verletzungen wie Knochenbrüche, Prellungen und Wunden zu heilen.
Der Beinwell kann bei allen Erkrankungen des Knochesystems eingesetzt werden, z.B.: bei Brüchen, Verletzungen der Knochenhaut und des Knochengewebes und bei Gelenkentzündungen. Er stärkt und heilt zugleich gezerrte, überdehnte Sehnen und Bänder bei Verstauchungen und hilft bei Sehnenscheidenentzündungen. Ebenso ist er ein gutes Heilmittel zur Wundheilung, denn er beschleunigt den Heilungsprozeß durch den Abtransport von abgestorbenem Gewebe und Wundflüssigkeiten, und er beschleunigt das Zuwachsen von Wunden. Somit kann er bei schlecht heilenden Wunden, Unterschenkelgeschwüren, stumpfen Verletzungen, Blutergüssen, Venenentzündungen, verhärteten Narben, Narbenschmerzen, Frostbeulen, Nagelbettentzündungen, Schwellungen, Arthrose und Gicht eingesetzt werden.
Da es inzwischen sehr viele Menschen betrifft, möchte ich hier noch kurz eine persönliche Erfahrung mit einfügen. Nach einer Lymphdrüsen- OP in der Achselhöhle fing eine Sehne sich, bis hinunter zur Hand, an zu verhärten und spannte ungemein. Wochen später konnte ich eine verhärtete Sehne direkt in der Achselhöhle fast umfassen. Beide Male habe ich die Sehnen mit Beinwellsalbe behandelt und nach gut zwei Wochen war alles normal. Als ich meinem behandelnden Arzt von den harten Sehnen erzählte, meinte er nur: wir bezeichnen das als Gitarrensaiten; gut das man sich zu helfen weiß.
Vielleicht hilft diese Erfahrung ja auch Euch in ähnlichen Situationen weiter, lasst Euch bitte nicht Eure Selbstverantwortung ausreden. Euer Körper gehört nur Euch allein.
Der hohe Anteil an Allantoin ist hauptsächlich für die hervorragende Wirkung in diesen Bereichen verantwortendlich, wobei beim Comfrey der Anteil höher ist als beim Beinwell. Da der Comfrey auch einen geringeren Anteil an Pyrrolizidinalkaloiden besitzt, sollte man diesen dem Beinwell vorziehen. Allerdings wird wahrscheinlich niemand diese Pflanze gleich kiloweise verzehren oder ähnlich verwenden, denn erst dann wird er gesundheitlich bedenklich. Die Dosis macht` s halt aus.
Wir haben in unserer Hausapotheke eigentlich stets einen Vorrat an Wurzelpulver, Beinwellöl und –salbe. Die Blätter kann man auch gut ausgebreitet trocknen und für einen Tee verwenden. Die Heilung lässt sich beschleunigen wenn die äußere Anwendung zugleich mit einer inneren kombiniert wird.
Durch seinen hohen Anteil an Schleim- und Gerbstoffen ist der Beinwell auch ein hervorragender Helfer bei Problemen des Verdauungstraktes. Der Schleim schützt und beruhigt, die Gerbstoffe stärken und festigen die Schleimhäute und das Allantoin heilt. Auch soll ein Tee aus der Wurzel in Verbindung mit Thymian festsitzenden, chronischen Husten bei älteren Personen heilen. Wir selbst behandeln recht häufig aufkommende Knie- oder anderweitige Gelenkbeschwerden mit einer Beinwellsalbe, die wir aus Beinwellöl und Bio-Bienenwachs herstellen.
Auch gebrochene Zehen haben wir mit dem Beinwell erfolgreich heilen können. Dafür haben wir etwas Wurzelpulver mit Wasser zu einem Brei verrührt und diesen auf die betreffende Stelle aufgetragen. Bereits nach einer Woche war der Zeh beschwerdefrei. Mein großer Sohn ist Physiotherapeut und hatte sich das Handgelenk angebrochen. Er hat es mit Beinwellsalbe und -brei behandelt und nach knapp drei Wochen konnte er seinem Beruf wieder nachgehen. Dem Beinwell sei Dank.
Das Beinwellöl wird in einem Verhältnis von 1:1 angesetzt. Für 250 ml Bio-Olivenöl benötigen Sie also 250 gr. frische, gereinigte und zerkleinerte Wurzel. Das Stechen der Wurzel, sowie das Reinigen und Zerkleinern mag etwas aufwendig sein, aber die Mühe lohnt sich, und in der Regel führt man diese Tätigkeit nur einmal im Jahr durch. Die entsprechenden Rezepte für Öl und Salbe finden Sie im Anhang. Das Öl eignet sich übrigens auch als Massageöl bei Zellulitis und Schwangerschaftsstreifen, da es das Gewebe festigt.
Den Beinwell kann man ebenso gleichwertig in der Tierheilkunde einsetzen. Aber auch die Bio-Gärtner wissen diese Pflanze außerordentlich zu schätzen. Sie eignet sich sehr gut zum Mulchen, besonders für Kartoffeln, und zur Herstellung einer Jauche, die die Abwehrkräfte von Pflanzen und Bäumen gegen Schädlingsbefall stärkt und kräftigt. Außerdem ist der Comfrey wegen seines hohen Eiweißgehaltes eine gute Futterpflanze.
Räuchern
Beim Verräuchern spricht diese Pflanze eher die psychischen Ebenen an, wo sie uns wertvolle Dienste leisten kann. Sie verhilft uns zu mehr Standfestigkeit und Kontinuität, zu mehr Konzentration und Verwurzelung, so daß man sich auf längerfristige Ziele besser einlassen kann. Der Beinwell unterstützt uns bei neuen Herausforderungen und heilt in uns tiefe Verletzungen und seelische Wunden, die durch Verluste oder Traumata entstanden sind. Er schenkt uns Licht und gibt uns Stabilität. Mit Beifuß vermischt unterstützt er die Visualisierungsfähigkeiten und die Trance.
Verwendung in der Küche
In den späten 60er und frühen 70er Jahren, zu Zeiten der Flower-Power Bewegung, erlebte der Comfrey in den Küchen der Hippies und Naturgärtner eine wahre Renaissance. Tatsächlich sind die Verwendungsmöglichkeiten sehr vielseitig. Man kann die jungen Blätter z.B. wie Spinat kochen, in einem Salat verwenden oder einfach als Gemüsebeilage zubereiten. Dazu brät man die gewaschenen und grob gehackten Blätter mit einer Zwiebel in Butter an, gibt etwas Brühe hinzu und kocht sie weich. Nun kann man sie noch mit Zitronensaft, Knoblauch und Gewürzen je nach Geschmack verfeinern. Sehr lecker schmecken die jungen Blätter auch ausgebacken in einem Pfannkuchenteig (die Zubereitung ist wie die von Spinatpfannkuchen). Dazu noch einen lecker gewürzten Kräuterquark und schon hat man ein wohlschmeckendes Mahl.
Wenn man in die Blätter einen guten Schafskäse einwickelt und dieses Päckchen dann von beiden Seiten etwa ein bis zwei Minuten in heißem Olivenöl brät, erhält man eine köstliche Vorspeise, zu der ein knuspriges Baguette mit Schwarzkümmel passt. Auch Fisch lässt sich gut in die Blätter einwickeln und braten, dann allerdings nicht ganz so heiß, dafür etwas länger braten. Und sollte einmal kein Beinwell zur Verfügung stehen, so kann man auch als Ersatz oder zur Abwechselung die Blätter vom Lungenkraut (Pulmonaria officinalis), das ebenfalls ein Raublattgewächs ist, verwenden.
Ein besonderes, kulinarisches Highlight sind Beinwellklöße mit Tomatensauce. Diese grünen Klöße in roter Sauce sprechen schon allein die Augen an. Eigentlich handelt es sich bei diesem Rezept um eine Abwandelung von Spinatklößen. Anstelle des Beinwell's nehmen wir auch hin und wieder Giersch (Aegopodium podagraria), der in unseren Wäldern oft wie "Unkraut" wächst und sehr aromatisch ist.
Aber nun zum Rezept: Wir nehmen dafür vier bis fünf handvoll frische Beinwellblätter, waschen und hacken sie grob, bevor wir sie in etwas kochendem Wasser blanchieren und nach ca. 3 min abgießen und kalt abschrecken. Nun geben wir folgende Zutaten zu den Blättern: 1-2 Eier, Paniermehl (hier müsst Ihr Euch rantasten), ½ frisch gerieben Muskatnuss, Salz (abschmecken!) und 50-70 gr. frisch geriebenen Parmesan. Dies alles wird nun zu einem nicht zu festen, aber formbaren Teig verknetet, aus dem wir dann die Klöße formen. Diese werden anschließend in siedendes Salzwasser gelegt. Sobald sie an die Oberfläche steigen sind sie gar und können nun mit einer guten Tomatensauce und Parmesan darüber serviert werden.
Ich lege sehr starken Wert auf die Feststellung, dass alle hier erwähnten medizinischen Therapievorschläge der alten, traditionellen Kräuter- und Pflanzenheilkunde entstammen und auf keinen Fall als meine persönlichen Therapie- und Behandlungsvorschläge zu verstehen sind! Sollte ein Leser dieses Artikels trotzdem von den hier erwähnten medizinischen Vorschlägen Gebrauch machen, so tut er dies in seiner alleinigen Verantwortung, bzw. im Vertrauen auf altes Kräuterwissen. Bei längeren, unklaren Beschwerden sollte man immer einen Arzt seines Vertrauens hinzuziehen.
"Zeig nun, liebes Kräutlein,
die Kraft,
die Gott dir gegeben hat"
Überlieferter Kräutersammlerspruch, der beim Ausgraben gesagt wird.
(Ulrike Beschow)
Eva Schmelzer (Freitag, 15 Oktober 2021 17:05)
Wieder ein herrliches Portrait einer Pflanze von Ulrike, das nichts, aber auch nichts Wissenswertes ausgelassen hat. Meine erste Begegnung mit dem Beinwell und seiner Heilkraft hatte ich vor vieleb Jahren in der Tierheilkunde. Dem Hund von Freunden machte eine Arthrose zu schaffen, die aber durch das Einreiben mit Beinwellsalbe unglaublich stark gelindert wurde. Auch ich selbst habe daraufhin sehr gute Erfahrungen gemacht und freue mich deshalb besonders über diesen Artikel. Unbekannt allerdings war mir die Verwendung in der Küche, was ich bestimmt aufgreife, sobald ich meinen Sohn besuche, der reichlich Beinwell in seinem Naturgarten hat. Herrlich! Ich freu mich schon!