Von der Vielfalt
Text und Fotos: Torsten Jäger
04.09.2018
Von der Vielfalt…
Vielfalt, so könnte man meinen, sei etwas Negatives, das Angst machen sollte, eine Bedrohung darstellt und ein Verlust ist. Man könnte das zumindest vermuten, wenn man sich die Abschottungsbemühungen vieler Staaten anschaut, und diese unsäglichen Demonstrationen rechter Geschichtsverfälscher, welche einem die Galle hochkommen lassen.
Vielfalt scheint hier nicht mehr erwünscht zu sein, eher eine Leitkultur, nach der sich alle zu richten hätten.
Dass Kultur jedoch von der Vielfalt lebt, unterschlägt man gerne mal. Oder man weiß das nicht, nachdem man schon den Geschichtsunterricht verschlafen hat, nichts vom natürlichen Treibhauseffekt weiß, und auch nichts zu den vielen anderen Zukunftsthemen sagen kann. – Ja, so richtig scheinen sich jene, die gerne eine „Alternative“ sein möchten, mit nichts auszukennen. Außer einem: Dem Spiel mit der Angst…
Auch die Natur existiert nur, da sie eine unendliche Vielfalt entwickelt hat. Denn das Leben musste sich an die Gegebenheiten anpassen, immer neue und komplexere Organismen formen, um diese Welt zu dem Ort zu machen, der uns geboren hat, uns am Leben erhält, und den wir trotzdem immer weiter zerstören.
Artenvielfalt bedeutet, dass in einem Ökosystem unterschiedlichste Pflanzen, Tiere, Pilze, Mikroben und Flechten, sowie Mikroorganismen zusammen existieren, Symbiosen bilden und jeder Teil des Systems ein wichtiger ist. Nur so können die komplexen Vorgänge vom Werden und Vergehen, vom Blühen und Vermehren, dem Fressen und Gefressenwerden funktionieren.
Gemüsebeet-Revolution
Nicht nur in der Natur ist diese Vielfalt wichtig und eine Bereicherung. Auch im Garten ist sie eine bunte, leckere und gesunde Sache.
Wir alle sollen möglichst viel Obst und Gemüse zu uns nehmen, am besten mit möglichst unterschiedlichen Farben, um gesund zu bleiben, uns vor Krebs, Zellalterung und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu schützen.
Das ist ein Grund, weshalb ich in meinem Gemüsebeet viele verschiedene Sorten anbaue. Hierzu zählen besonders alte und nicht hybride Sorten. Dies hat wiederum gleich mehrere gute Gründe:
Zunächst einmal sind die alten Sorten sehr viel aromatischer, sicher auch gesünder und farben- und formenfroher als die eintönigen Hybrid-Sorten.
Zudem sind die alten Sorten samenfest. Das heißt, ich kann sie blühen lassen, ihre Samen ernten und sie im nächsten Jahr wieder aussäen. Mit der Zeit können sich die Pflanzen an die regionalen Gegebenheiten genetisch anpassen und ich erhalte starke, widerstandsfähige und angepasste Gemüsepflanzen.
Mit gesunden und krankheitsresistenten Pflanzen werben zwar auch die Produzenten von hybridem Saatgut, doch wurden ihre Sorten allgemein optimiert, eventuell sogar genetisch. Und der größte Nachteil: Lässt man die Pflanzen blühen, die aus hybridem Saatgut entstanden sind, wird hiervon nur ein Bruchteil keimen und der Rest wird deutlich geringere Erträge bringen. Wiederholt man die Prozedur im nächsten Jahr, geht der Ertrag gleich gegen Null. Das ist pure Absicht. Schließlich steht hinter diesen Saatgut-Eigenschaften das eiskalte Kalkül der Abhängigkeit. Man möchte erreichen, dass man jedes Jahr neues Saatgut für teures Geld kaufen muss. Und vermehrungsfähiges Saatgut ist dieser Saatgutindustrie, die aus wenigen, international agierenden Firmen besteht, ein Dorn im Auge. Schließlich möchte man die absolute Kontrolle.
Diesen Gefallen werde ich ihnen jedoch nicht tun – zusammen mit vielen anderen Gärtnern auch. Denn der Widerstand gegen diese Monopolisierung der Ernährung wächst.
Nicht nur das Szenario, dass einige wenige Konzerne mit ihren Aktionären am Ende die gesamte Ernährung auf der Welt kontrollieren könnten, ist ein erschreckendes.
Auch das Risiko einer Pflanzenseuche bei Grundnahrungsmitteln, wie etwa beim Getreide, welche die wenigen Hybrid-Sorten befallen und alle Erträge zunichte machen könnte, ist nicht hoch genug einzuschätzen. Und das Schlimme wäre dann: Durch das langsame Aussterben der vielen samenfesten und alten Konkurrenz-Sorten verkleinert sich der Genpool. Damit nimmt nicht nur die Vielfalt ab, es schwinden auch die Potentiale der Natur, Widerstand gegen Krankheiten oder Schädlinge zu leisten.
Leitkultur?
Dies sind für mich eindeutige Gründe, weshalb in meinem Gemüsebeet auch dieses Jahr wieder sehr viele Tomatensorten wachsen, wie „Black Plum“, „Fuzzy Wuzzy“, „Yellow Submarine“, „Sibirisches Birnchen“, „Tigerella“, „Martina“, „Weiße Königin“, „Wladiwostok“, „Dattelwein“, „Lime Green“, „Banana Legs“, „Stone“, „Waltingers Cocktailtomate“, „Roma“, „Pfirsich“, „Andentomate“ und „San Marzano“. Die Aromen dieser Sorten sind sehr unterschiedlich, ebenso teils ihre Konsistenz und die Festigkeit der Schale. Auch in Form und Farbe unterscheiden sie sich sehr. Doch das ist toll, denn jede Sorte hält ihr eigenes Geschmackserlebnis bereit. - Mal mehr Säure, mal praktisch gar keine, mal fleischig, mal sehr saftig,…
Es wachsen aber auch die „Weiße Salatgurke“, der „Erdbeerspinat“, der „Hirschhornwegerich“, „Winterpostellein“ und „Wilde Rauke“ in meinem Garten, neben der „Schwarzwurzel“ wächst die „Haferwurz“. Im Kräuterbeet finden sich neben „Zitronen-„ und „Lemonenbasilikum“ auch solche Seltenheiten wie der „Alant“ - eine Heilpflanze. Es wächst das „Löffelkraut“, welches von den Wikingern bereits als vitaminreiches Gemüse genutzt wurde, daneben das „Liebstöckelkraut“, das auch „Maggikraut“ genannt wird, ähnlich aromatisch schmeckt, aber zum Glück nichts mit der Glutamat-Brühe zu tun hat. Verschiedene Sorten Mangold und Möhren wachsen im Hochbeet, direkt neben der „Steierischen Käferbohne“. Und selbst im Teich wachsen keine Exoten, sondern Heilkräuter, wie der „Fieberklee“ und die „Wasserminze“.
„Büttners Knorpelkirsche“ und eine alte Mirabellensorte konnte ich dieses Jahr bereits ernten, ein Baum der Sorte „Butterbeer“ hängt gerade voll mit Birnen, zwei erste Äpfel hat zudem der zweijährige Apfelbaum „Sternrenette“ hervorgebracht.
Leider hat der Kürbis „Pattison“, der ein wenig an ein weißes UFO erinnert, unter der Hitze gelitten und es wird dieses Jahr wahrscheinlich nur eine kleine Kürbis-Ernte geben. Dafür haben sich die beiden Zucchini-Sorten - eine gelbe und eine grüne - prächtig entwickelt.
Schön bunt, vielfältig und frei geht es in meinem Garten zu. Und ich bin glücklich darüber, dass ich die Tür für jene Leitkultur nie geöffnet habe, die einem von außen aufgedrängt wird: Gartennachbarn mit sauber gepflegten Beeten und Standard-Sorten, massenhaftem Dünger- und Pestizideinsatz… Baumärkte mit Hybrid-Pflanzen, lilafarbenem Brokkoli oder Riesen-Paprika… Saatguthersteller mit großen Versprechungen - und doch nur Abhängigkeit, Gewinnoptimierung und die Monopolstellung im Hinterkopf…
Am Ende ist es wie im wahren Leben: Die Leitkultur würde am Ende nur zur Leidkultur, die aus Zwang, Ausgrenzung, Auslöschung und Unrecht bestünde. Aus Vielfalt würde Einfalt. Und Einfalt bedeutet Armut. - Armut im Gemüsebeet, Armut im Herzen und im Geiste.
In diesem Sinne: Ein Hoch auf die Vielfalt - und ein klares „STOP“ von mir an alle Betonköpfe, welche die Vielfalt und ein funktionierendes, friedliches Zusammenspiel all ihrer einzigartigen, mannigfaltigen und wundervollen Bestandteile einsperren und zerstören wollen!
Eva Schmelzer (Freitag, 21 September 2018 12:00)
Dieser Artikel hat mir außerordentlich gut gefallen. Wunderbar hat Torsten Jäger deutlich gemacht, dass die gewachsene Vielfalt in der Natur (wozu ja auch der Mensch gehört) nicht nur das Leben bereichert, sondern eine absolute Notwendigkeit ist, weil alles mit allem zusammenhängt, das eine ohne das andere nicht oder nur schwer existieren und überleben kann. Der Mensch sollte das demütig akzeptieren und nicht ständig eingreifen und somit zerstören, was sich über Jahrmillionen aufgebaut hat, seit die ersten Einzeller die Fotosynthese nutzten und Energie aus dem Sonnenlicht gewannen, womit unser aller Leben begann.
Erika (Donnerstag, 20 September 2018 13:58)
Lieber Torsten.nur sechs Deiner vielen alten Gemuesesorten fehlten mir in Scherenschnitten, der Grossteil existierte bereits. Danke, das war eine anregende Auflistung.Besonders eindrucksvoll waren die alten Tomatensorten, welche meine Klassenkameradin Ute seit Jahrzehnten im Sinne Rudolf Steiners benutzt. Eure Familie und ihre Familie sind schon ganz darauf eingestellt. Ich hoffe, dass weitere Gartenbesitzer Euren Beispielen folgen. Dein Satz''Kultur lebt vom Vielfalt''ist grossartig.