Der Augentrost
Text: Marion Hartmann
Scherenschnitt: Erika Bulow-Osborne
28.01.2015
Es gibt in der heutigen Zeit sehr wenige Menschen, die fest davon überzeugt sind, daß wir von Kräften beseelte Erscheinungen in aller Natur vor uns haben.., etwas Lebendiges, Wesenhaftes, das
nicht nur gesehen, untersucht und benutzt werden will.
Sie existierten in früherer Zeit und sie leben heute, ganz vereinzelt.., die Heiligen.
Es sind nicht etwa die selbsternannten Heilsbringer, die pseudospirituellen Schlaumeier oder esoterische Spinnefixe, oh nein, es sind ganz normale Menschen, welche da alles, was nur kreucht und
fleucht als ein Heiligtum betrachten. Und hier kommen die ganz besonderen Kenntnisse heraus, die sich nicht nur um die Heilung von Krankheiten bewegen, sondern auch um die Zusammenhänge der
Pflanzenwelt mit- und untereinander, auch mit der Tierwelt.
Wenn es damals waren Hildegard von Bingen, Paracelsus, usw, so sind es heute etwa Wolf Dieter Storl und weitere ganz besondere Persönlichkeiten.
Bei einem sehr berühmten Mann ging der Respekt vor der Schöpfung so weit, daß er den Hut zog, wenn er auch nur einer einfachen Weinbergschnecke begegnete.., es war der große Psychologe Carl
Gustav Jung.
Werden wir doch alle Heilige.., ob in der Landwirtschaft , im Garten oder draußen in der Natur.
Geben wir einer sinnhaften Welt, die voller Bedeutungen, Orientierungen und Wegweisungen ist.., den Sinn, verstehen zu wollen!
Und nehmen wir nicht einfach nur.., geben wir ein klein wenig zurück.
Ich selbst sah irgendwann auf einem meiner kulturhistorischen Friedhofsgänge zwischen dichten Büschen einen kleinen Apfelbaum. Ich sah, dass viele der heruntergefallen Äpfel Biss - Spuren trugen.
Welche Tiere sich dort beköstigt hatten, wusste ich nicht.
Aber von Tag an legte ich stets auf die Grabstellen meiner Angehörigen 2 Äpfel und einige Nüsse in einer Schale.
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Carl von Linne war es, welcher die Pflanze Augentrost der Gattung Euphrasia zuordnete, das griechische Wort für Freude, Frohsinn.
Die bis zu 350 Arten sind weltweit verbreitet.
Im Jahre 1997 wurden 46 Arten des Augentrosts in die Rote Liste gefährdeter Pflanzen aufgenommen.
Diese relativ unscheinbare Pflanze findet man auf Wiesen, an Wegrändern und in lichten Wäldern, wo sie ihr halbschmarotzerisches Leben führt, denn ihre eigenen Wurzeln sind zu schwach, um sich
lebensnotwendige Nährstoffe zuzuführen. Und so zapft sie die Wurzelgeflechte der sie umstehenden Pflanzengemeinschaft an.
Im Mittelalter verwandelte Augentrost die Wiesen in ein Meer von Blüten.
Schon im 1. Jahrhundert nach Christus wurde der Augentrost erwähnt vom griechischen Arzt Dioskurides als ein Allheilmittel für die Augen.
http://www.spektrum.de/lexikon/arzneipflanzen-drogen/euphrasia-rostkoviana/4441
Erika (Sonntag, 08 Februar 2015 10:42)
'Augentrost'
Deine persoenlich gehalteten Einleitungen zu den .H.v.Bingen Artikeln zeigen immer Deine tiefe Verinnerlichung gesehener Dinge,welche ueber Gelesenes weit hinausgeht. Hier der Hinweis auf Paracelsus Storl und Jung verbunden mit dem Wunsch in Regelmaessigkeit etwas zu geben, und zu hinterlassen. Eine schoene Geste.
Eva Schmelzer (Dienstag, 03 Februar 2015 10:56)
Dieser Beitrag hat mich sehr berührt. Er zeigt, dass wahrhaft große Menschen die „Ehrfurcht vor dem Leben“ – wie A. Schweitzer es nannte – in sich tragen. So wie Du es am Beispiel von C.G. Jung geschildert hast. Wie unendlich rührend die Anekdote mit dem Niederlegen von Äpfeln und Nüssen auf das Grab. Tausendmal schöner als ein protziges Blumengebinde. Normalerweise erlebt man das Gegenteil, dass sich Menschen darüber aufregen, dass Blumen und Pflanzen auf Gräbern von Tieren angefressen werden und sie diese dann abschrecken oder sogar töten.
Traurig, dass so viele Arten dieser Pflanze mit dem wunderschönen Namen nun auch aussterben. Wie schön getroffen Erikas Darstellung des Augentrosts ist, brauche ich wohl nicht zu erwähnen.