Die Kopfweide
Text: Marion Hartmann
Fotos: Gudrun Kaspareit
Scherenschnitte: Erika Bulow-Osborne
23. 04. 2014
Kopfweiden bilden in der Landschaft einen imposanten Anblick und besonders an nebligen Tagen erwecken sie in den Seelen etwas mystisch Geisterhaftes, als wenn diese Gehölze ein Geheimnis tragen
würden, das sich nicht bestimmen lässt.
Die Verschleierung der von Menschen gestutzten Gehölze in nebliger Landschaft erweckt im Menschen einen ausgeprägten Sinn für die in alten Mythen und Sagen oft erwähnte Magie der Natur.., die
Gegenwärtigkeit eines lebendigen Geistes, suchend die Gemeinschaft mit dem beobachtenden Menschen.
Da strömt hinein in die Seelen ein wahrhaft Heiliges, entkoppelnd jede Grenze zwischen Bewusstein und Geist.
Hier erst in der Einsamkeit dorfbildprägender Kopfweidenreihen lebt dasjenige auf, was der Vermorschung des zivilisierten Menschen anheimgefallen ist und vielfach wieder austreiben will.., ein
religiöses Gefühl, ein Bewussein für die immerwährende Lebendigkeit der Natur in den Verläufen der Jahreszeiten.
Im Wesentlichen nähert sich der Betrachter dem heimlichen Wunsch der Natur, in der menschlichen Seele die Aufmerksamkeit zu erwecken für alle Zusammenhänge innerhalb des Geschauten, das
Ineinandergreifen von Flora und Fauna in dieser bestimmten Physiognomie der Landschaft.
Dass der Mensch sich als ein Teil dessen erkennt, Mittel, Werkzeug und Hüter, das soll zum Bewussein kommen.
Kopfweiden prägen das Bild vieler europäischer Niederungslandschaften.
250 Jahre reicht ihr Anbau schon zurück und wurde besonders von den preußischen Königen gefördert.
Der Grund lag in den vielfältigsten Verwendungsmöglichkeiten von Ruten und Holz im bäuerlichen Wirtschaftsbetrieb.
In der Hauptsache benutzte man Silberweiden und Korbweiden, die noch im jungen Alter auf etwa 1 - 3 Meter eingekürzt wurden und deren austreibende Zweige in Abständen beschnitten werden mussten
und die man sofort zur wirtschaftlichen Nutzung verwendete.
Wird eine Kopfweide nicht beschnitten, kann sie unter der Last der Austreibung zusammenbrechen.
Dieser Effekt erklärt die große Anzahl beschädigter Kopfweiden, da ihre Nutzung in der wirtschaftlichen Verwendung stark nachgelassen hat.
Auch ist die Erziehung und Pflege von Kopfweiden mit erheblichen Kosten verbunden.
Der Rückschnitt hinterlässt an den Bäumen immer große Wunden.
Hineinwachsende Pilze können Fäulnis verursachen.
Hier entstehen allerdings durch Vermulmung und Vermorschung Höhlen und damit wertvolle Lebensräume für Insekten und andere Tierarten, sodass dieKopfweide eine große Bedeutung im Artenschutz
erlangt.
Der Tier- und Naturschutz ist heute wieder an der Neupflanzung von Kopfweiden interessiertund von dort kommt auch die Aufmerksamkeit zur Erhaltung und Pflege alter, dicker Kopfweiden.
Wir haben die verschiedensten Naturschutzorganisationen, die für den Erhalt der Kopfweiden kämpfen, weil vor allem die in ihrem Bestand bedrohten Fledermäuse und Eulen in den hohlen Stämmen
Unterschlupf finden und Nistgelegenheit.
Sowohl die männlichen, als auch die weiblichen Weiden mit ihren Kätzchen bieten den Bienen im Frühjahr die erste Nahrung.
Die dickstämmige Weide zählen zu den insektenreichsten Arten Mitteleuropas.
Weit über 100 Käfer können auf ihr leben.., Weber- und Moschusböcke; Weidenbohrer und Pappelböcke.
1991 nannte man 183 Insektenarten, welche die Kopfweide als Wohn-, Nahrungs- oder Metamorphoseort nutzen.
Hier finden sich auch höhlenbrütende Vogelarten, wie Steinkauz, Gartenrotschwanz, Grauschnäpper, Trauerfliegenschnäpper, Blau-, Kohl- und Weidenmeisen, Feldsperling, Turmfalke, Stockente und
Hohltaube.
Von den Säugetieren, die in den hohlen Stämmen leben, sind es Maus, Iltis, Steinmarder, Siebenschläfer und Fledermaus.
Früher wurden Äste häufig als Pfähle für die Errichtung von Weidenzäunen benutzt und aus diesen Ästen entstanden durch enorme Regenerationsfähigkeit der Weiden neue Pflanzen.
Aus diesem Grunde sieht man die Kopfweiden häufig in einer Reihe stehen.
Eine moderne Nutzung der Weide ist der Lebendverbau. Hierbei werden lebende Zweige zur Erstellung von Bauwerken und Geflechten verwendet
In früheren Zeiten wurden die gewonnen Ruten für die Korbflechterei oder in Verbindung mit Lehm als Baumaterial für Häuserwände benutzt.
Kopfweiden haben die Bedeutung als kulturhistorisches Landschaftselement erhalten.
Kopfweiden, die skurrilen Erlenkönige aus Goethes Gedicht bilden individuelle Baumpersönlichkeiten in der Landschaft und schaffen die wundersamsten Eindrücke in den Seelen der Menschen in immer
gleichförmiger werdenden Lebensräumen.
Ob als lieblicher Kopfweidenhain oder schaurige Drachengestalt vermögen sie es, im Betrachter eine Märchen- und Sagenwelt zu entzünden und in vielfältiger Weise heraufzuholen, was längst
untergegangen scheint.
Der Kopfweidenanbau geht bis ins Alte Ägypten zurück.
In Bremen ist der Steinkauz leider seit einigen Jahrzehnten verschollen.
Sollte eines Tages diese kleine, markante Eule wieder auftauchen, werden ihm die Kopfweiden am Weser- Ufer. oder die im Werderland, entlang des Ökolehrpfades sehr gefallen.
Die BUND Landschaftspflegegruppe Arsten/Habenhausen hat 1993 zusammen mit Kindern der Grundschule Habenhausen 40 Kopfweiden am Weserufer oberhalb des Weserwehrs gepflanzt. Aus den einst armdicken
Pflanzstöcken sind mittlerweile ansehnlich dicke Weidenstämme geworden mit einem üppig wuchernden „Schopf“ aus Weidenästen.
Tiere die in alten Kopfweiden Unterschlupf finden
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Sybille Waibel (Sonntag, 19 Oktober 2014 10:53)
vielen lieben Dank für diesen tollen Artikel
Eva Schmelzer (Freitag, 02 Mai 2014 18:35)
Wieder ein Beitrag, der mich besonders interessiert, weil er einen Baum behandelt, der mir so sehr vertraut ist, so wie unlängst die Silberpappel auch. In den 60er Jahren, als ich noch nicht am Niederrhein wohnte, sondern im Sauerland, lebte ich etwa die Hälfte des Jahres im Süden der Niederlande, und auch dort gehörten die Kopfweiden zum typischen Bild. Sie begleiten mich also schon fast ein Leben lang. Umso mehr freue ich mich über diesen Beitrag, denn das Verwunderliche, eigentlich – wie ich jetzt erst erkenne – Unfassbare ist, dass ich überhaupt nichts über sie wußte. Bis heute. Deshalb danke, liebe Marion, für den schönen und informativen Text und natürlich (wie immer bei allen Beiträgen) an Erika für ihre faszinierenden Scherenschnitte und last not least an Gudrun für die Fotos.
Marion Hartmann (Samstag, 26 April 2014 19:02)
Ich möchte Dir, liebe Gudrun, für die beigefügten, herrlichen Fotos danken und auch Erika, die mit sehr viel Engagement und künstlerischer Hand so viele Beiträge zu verzieren weiß!
Erika Bulow-Osborne (Samstag, 26 April 2014 07:57)
Marions Artikel stellt die mystische, sagen-umwitterte Kopfweide vor. Wichtig ist der Autorin, dass wir unsere Aufgabe, die Kopfweide als Hueterin von Flechten, Pilzen, einer Vielzahl von Insekten, Kaefern bedrohter Fledermaeuse und zahlreicher Voegel sehr ernst sehen. Oft hoerte das Beschneiden der Weiden auf und Vermorschung setzte ein. Entstehende Hoehlen jeder Art wurden willkommene Nistplaetze und Nahrungsquellen.
Kopfweiden waren und bleiben unersetzliche Objekte fuer Kuenstler, Photographen, Schriftsteller und Dichter.
Korbflechterei als Hobby wird bleiben und die Verwendung von Lehm und Weiden zur Ausbesseung alter Bauernhaeuser wird Experten weiterhin beschaeftigen.