Kahlschlag: Im Glashaus fliegen Steine ......
Text und Fotos: Torsten Jäger
08.03.2019
Im Glashaus fliegen Steine…
Der neue brasilianische Präsident Bolsonaro wetteifert offensichtlich mit Trump und wirft so ziemlich alle Klimaschutz-Ziele über Bord. Für ihn hat der Kampf gegen den Klimawandel ebenso wenig Priorität, wie der Arten- oder Umweltschutz. Er respektiert nicht die Rechte der indigenen Völker, die in ihren zugewiesenen Stammesgebieten die Natur schützen. Und er ist Begriff, fundamentale Rechte der brasilianischen Ureinwohner zu beschneiden. Zugleich übergibt er die Zuständigkeit für die Regenwälder dem Landwirtschaftsministerium. Das sagt wohl alles darüber aus, wie gut es um den brasilianischen Regenwald nun bestellt ist…
Wie kann man nur angesichts der Klimakrise, des Artensterbens und der ungebremsten Umweltzerstörung derartige Politik betreiben? Wie kurzsichtig kann man sein, immer mehr Natur zu vernichten? Brasilien muss seiner weltweiten Verantwortung gerecht werden, muss Klima- und Artenschutz betreiben, anstatt ihn zu torpedieren!
Doch wie war das nochmal mit dem Steinewerfen im Glashaus? Bei uns gehen jeden Tag Scheiben zu Bruch, wird jeden Tag der Artenschutz mit Füßen getreten. Es werden Bäume gefällt, Sträucher und Hecken verschwinden aus unseren ohnehin bereits aufgeräumten Kulturlandschaften. Dadurch geraten Tierarten wie die Feldlerche oder der Feldhase in Bedrängnis. Dieses Abholzen ist Teil des Insektensterbens, es ist Teil des Vogelsterbens und Teil des Klimawandels.
Vor einigen Tagen wurde mal wieder in meiner Nachbargemeinde Nackenheim, passend zur Brutsaison, eine „grüne Insel“ inmitten von Weinbergen, Feldern, Straßen und Siedlungen zu großen Teilen zerstört. Pappeln fielen der Säge zum Opfer, die angeblich „nicht ökologisch wertvoll“ seien.
Dass Bäume alleine durch ihren Einfluss auf das Klima einen enormen ökologischen Wert besitzen, wird hierbei ignoriert. Es mag andere Pflanzen geben, die einen größeren ökologischen Nutzen vorweisen. Doch Pappeln bieten durchaus Nist- und Lebensraum für verschiedene Tierarten, somit auch eine Futterquelle. Und allgemein kann man ja wohl behaupten, dass Pappeln einen größeren ökologischen Nutzen zu bieten haben, als ein Kahlschlag.
Diese Rodung zerstörte nicht nur viele der angeblich ökologisch wertlosen Bäume. Sie riss auch tiefe Schneisen in die Hecken, die unterhalb der Pappeln wuchsen. Und die gerade für Singvögel sehr wohl ökologisch nützlich waren. Sie boten Beeren als Futter, Nistmöglichkeiten und Unterschlupf. Auch für Rehe und andere Tiere, die oft nicht mehr genügend Deckung finden, war das Dickicht sehr wohl ökologisch sinnvoll und nutzbringend. Nun stehen die Rehe irritiert auf den Äckern in der Umgebung und müssen sich einen neuen Unterschlupf suchen.
Und dies ist nicht die erste Rodungsaktion ohne Augenmaß. Es ist nicht die einzige „landschaftliche Pflegemaßnahme“ nach der „Vorschlaghammer-Methode“ während der Brutsaison in den letzten Jahren. Vielmehr verschwinden auch in meinem Wohnort Bodenheim immer mehr Hecken und Sträucher in den Feldern, Bäume werden gefällt
Auf Nachfrage heißt es dann immer von offiziellen Stellen, es würden doch Ersatzpflanzungen vorgenommen und somit scheint die Welt wieder in Ordnung zu sein…
Am liebsten würde ich darauf entgegnen: Erklären Sie dann bitte der Schwarzamsel, dass sie ihre Eier der aktuellen Brutsaison für 5-6 Jahre auf Eis legen muss, damit die Ersatzpflanzung soweit gewachsen ist, um als Nistplatz zu dienen?!
Es sind einfach Milchmädchen-Rechnungen, die hier stattfinden, denn eine Hecke oder ein Baum als Lebensraum kann nicht einfach und vor allem nicht zeitnah ersetzt werden. Eine Ersatzpflanzung braucht lange Zeit, bis sie den ökologischen Nutzen der gerodeten Pflanze bieten kann. Und darauf können viele Tierarten nicht warten.
Da die Natur überall auf dem Rückzug ist, können sie nicht einfach mal ausweichen. Ihnen fehlt am Ende das Futter, um über den Winter zu kommen oder ihre Jungen zu ernähren. Sie suchen vergeblich geeignete Nistmöglichkeiten oder einen Unterschlupf, einen Platz für den Winterschlaf oder als Schutz für die Geburt ihrer Jungen. Spechte finden keine geeigneten alten Bäume mehr, um ihre Höhlen darin zu bauen. Und Fledermäuse suchen ebenso vergeblich nach Höhlen in Baumstämmen, in denen sie den Sommer verbringen und ihre Kinderstuben einrichten können.
So sterben Arten aus – regional aber auch flächendeckend. Denn die Entwicklung ist leider in vielen Gemeinden gleich.
Nach meiner Erfahrung werden Ersatzpflanzungen oder Ausgleichsflächen zudem nach relativ kurzer Zeit anderen kurzfristigen Interessen geopfert und so verschwinden auch sie wieder, ohne sich überhaupt zu einem geeigneten Lebensraum entwickeln zu können.
Aber kein Problem: Schließlich werden für die gerodeten Ersatzpflanzungen ja wieder anderswo Ersatzpflanzungen vorgenommen…
Es ist doch eine Farce! Ich frage mich wirklich, wie wir die Dreistigkeit besitzen können, Brasilien einen Vorwurf zu machen, während wir selbst tagtäglich vor unserer Haustür den Artenschutz mit Füßen treten.
Ich möchte diesem Treiben nicht länger zusehen, es belastet mich zunehmend. Daher habe ich mich nun dazu entschlossen, eine Bürgerinitiative ins Leben zu rufen, um der Natur eine Stimme zu geben. Da jene schweigen und zögern, die eigentlich agieren müssten (Untere Naturschutzbehörde), ist es nun an der Zeit aktiv zu werden.
Letztens habe ich einen Spruch gehört, der mir hier sehr passend erscheint:
Wenn Dich etwas stört, dann ändere es, bevor es Dich ändert.
Der Buntspecht, wie auch andere Höhlenbewohner haben ihre Heimat verloren
Erika (Sonntag, 17 März 2019 16:27)
Lieber Torsten, das ist eine grossartige Entscheidung, die Du getroffen hast. Bitte bleibe dabei und zeige mit Deinen Faehigkeiten, dass Du es schaffst,andere Menschen genauso dafuer zu begeistern., der Natur zu helfen.
Hecken und Buesche(wie Liguster, Schlehe,Efeu) auswaehlen, die besonders geeignet sind zum Nisten. Versuche auch Schulen fuer Deine Ideen zu gewinnen. Kinder sind zugaenglich und begeisterungsfaehig. Wir muessen den, in Supermaerkten angebotenen, auslaendischen Pflanzen und Bueschen entgegentreten, denn sie sind nicht geeignet fuer unsere Insekten, Wir muessen bewusst einheimische Buesche setzen mit essbaren Fruechten und praktisch zum Nisten. Nur so koennn wir unsere einheimischen Vogelarten zurueckgewinnen.
Es waere ein grosses Projekt, wenn unter Deiner Anleitung eine Trockenmauer errichtet wuerde. Und dann mit Thymian,Steinbrech,Mauerpfeffer,Johanniskraut,Gaensekresse,Leinkraut und Zimbelkraut bepflanzt wuerde.
Eva Schmelzer (Samstag, 16 März 2019 12:55)
Die Regenwaldrodungen in Asien, Afrika und Südamerika sind in der Tat dramatisch und der Kampf einiger dagegen scheint aussichtslos, zumal nun z.B. in Brasilien die Situation verschärft wurde durch den unsäglichen Bolsonaro. Doch Torsten Jäger hat völlig recht: Wir in den "Glashäusern" dieser Welt müssen dringend auch buchstäblich vor unsere Türen schauen, das geht aus seinem Artikel sehr eindringlich hervor! Ich habe auch das Gefühl, dass sich zunehmend eine Seuche breit macht, die man "Rodungswut" nennen kann. Ich beobachte das auch in meiner Stadt Düsseldorf, wo in innerstädtischen Parks und Anlagen nicht nur Bäume gefällt werden (vor allem Pappeln und Birken), sondern an vielen Stellen dichtes Gebüsch beseitigt wurde. Warum?
Alle Argumente von Torsten Jäger sind richtig und einleuchtend und ich bewundere sein Vorhaben, der Natur eine Stimme zu geben mit der Gründung einer Bürgerinitiative. Ich wünsche sehr, dass sich viele dem Motto anschließen: Wenn Dich etwas stört, dann ändere es, bevor es Dich ändert.