Der warmherzige König
Der warmherzige König
Die Luft roch nach frischem Leben. Die ersten wärmenden Sonnenstrahlen hatten längst den letzten grauen Schnee getrunken. Die Vögel sangen ihre Lieder lauter und voreilige Knospen begannen sich zu öffnen. Auferstehung. Überall Bewegung. Er war da, der von allen lang ersehnte Frühling.
Ich saß vor der geöffneten Balkontür und sah den Vögeln zu, die sich ihr Frühstück aus meinem Futterhäuschen holten. Rotschwänzchen, Meisen, Sperlinge. Ein gewohnter Anblick.
Doch an diesem Morgen änderte sich das Bild. Ein neuer Gast tastete sich vorsichtig an die Futterstelle heran. Und doch war er so schnell im Flug und so flink in seinen Bewegungen, dass ich ihn anfangs nur erahnen konnte. Nicht viel größer als ein Hühnerei, kam er geflogen, als werfe jemand einen Stein Richtung Futterhäuschen, schnappte sich einen Happen und war so schnell weg, wie er gekommen war. Erst als er sicherer wurde und sich setzte, sah ich diesen kleinen fliegenden Diamanten für einige Sekunden. Aus dem Kopf wuchs ein spitzer Schnabel. Die übergroßen Füße trugen einen braun gefiederten, ovalen Körper. Das kurze Schwänzchen zeigte nahezu senkrecht in die Höhe und die kleinen wachen Augen schienen die ganze Welt im Blick zu haben.
Dieser Winzling unter meinen Gästen war der Zaunkönig.
Ein kleiner König, den ich auch standesgemäß verköstigen wollte.
Ein ausgehöhlter, rotbäckiger Apfel an einem Kiefernzweig befestigt und mit fein gehackten Nüssen und quirligen Mehlwürmern gefüllt, sollte nur für ihn da sein.
Als hätte er das gewusst, ließ er sich nicht lange bitten und flog schnurstracks darauf zu.
Mit dem rechten Bein stand er stolz auf dem Kiefernast, während er den linken Fuß besitzergreifend auf den Rand des Apfels legte.
Sein kleiner Schnabel öffnete sich ein wenig und ich glaubte etwas zu hören, wie:
„Hiermit gebe ich, Seine Majestät der Zaunkönig, bekannt, dass die königliche Futterstelle auch für das übrige Vogelvolk eröffnet ist !“
Man kann auch klein sein, und Großes tun..
Jürgen Engelmann (Donnerstag, 15 November 2018 03:16)
Das hast Du sehr gut beschrieben, weil Du es erkannt hast, liebe Eva. Und so, wie Du es beschrieben hast, so ist es auch. Will ich am Ende ein zufriedenstellendes Ergebnis haben, muss ich mich einer Sache, egal, um welche es sich handelt, ganz hingeben. Das gilt für alle Lebensbereiche. Vielen Dank. Herzlichst, Jürgen
Eva Schmelzer (Dienstag, 13 November 2018 16:46)
Der beste Fotograf kann nicht solche eindrucksvollen Fotos zaubern, wenn er nicht eng mit der Natur verbunden ist, sie tief liebt, selbst ein Teil von ihr ist. Jürgen hätte sich nicht erst als solcher vorstellen müssen - man sieht es seinen Bildern an, liest es in jedem Satz seiner herzerwärmenden, einfühlsamen Geschichte!