Flitzi
Text und Foto: Marion Hartmann
08.11.2017
Sie tauchte nicht etwa aus dem Nichts auf, diese noch junge Katze, oh nein, ..man hatte sie wegen Umzugs einfach auf die Straße gesetzt. Aber das Leben auf der Straße kannte sie nicht, streunte höchst irritiert auf dem Hof der ehemaligen Besitzer zwischen Mülltonnen und der Hoftür, dort ewig wartend, wohl in der Hoffnung, die Tür möge sich wieder öffnen und es geht hinein in die gute Stube, wo der gefüllte Futternapf steht.
Meine polnische Freundin Anna, Krankenschwester, sah das Trauerspiel, freundete sich mit dem Kätzchen an, stellte täglich Futter nach unten und überlegte krampfhaft, ob sie es wagen könnte, Flitzi mit in die Wohnung zu nehmen, denn.., dort befinden sich auch zwei kleine Hunde, die zwar sehr freundlich zur gesamten Umwelt stehen, doch aber auf so manches genervt reagieren ob ihres Alters.., hochbetagt beide mit oft diesem und jenem Wehwehchen. Anna, die in drei Schichten in der Klinik arbeitet, wäre demnach nicht dabei, wenn es zu Raufereien käme.
Wie war ich doch erstaunt, als ich sah, dass Flitzi nach einiger Zeit mit Anna zur Straßenbahnhaltestelle lief, wenn diese zum Dienst fuhr und dann allein wieder zurück schlenderte auf den Hof.
Noch erstaunlicher, dass die Katze in der Nähe der Haltestelle saß, wenn Anna vom Dienst kam.
Man zweifelt in solchen Momenten an der Realität, dass Katzen eben nur unbewusste Tiere sind.
Als der Herbst kam, sprach ich mit Anna über Flitzi, dass es wohl besser wäre, eine schöne Unterkunft über den Winter zu finden.., besser als ein Leben auf dem Hof für eine eingefleischte Wohnungskatze.
Aber Anna hatte sich längst an Flitzi gewöhnt und meinte, sie würde das Kätzchen total vermissen, wie auch deren Begleitung zur Bahn und zurück.
Ich sah Anna im Kaufmarkt, dass sie ein warmes Katzenbett kaufte, was sie zwischen die Mülltonnen stellen wollte für den Fall eines Kälteeinbruchs, denn die Mülltonnen stehen überdacht und windgeschützt durch Rück- und Seitenwände.
Ich hatte mich inzwischen bei einem Freund informiert, ob es möglich sei, dass Flitzi den Winter zusammen mit seinen eigenen 3 Katzen.., insofern sie sich vertragen würden.., in seinem Haus und auf seinem Grundstück, welches er katzensicher abgeschirmt hat, verbringen könnte.
Ich hätte nicht fragen brauchen, es ist der größte Tierfreund der ganzen Gegend.., überall hängen Vogelhäuschen und für einen Frosch, den er unterwegs fand, baute er eigens einen Teich.
Aber Anna lehnte ab.., nein, sie könne gar nicht mehr ohne das Kätzchen. Es sei so schön zu wissen, dass da unten jemand wartet, dort im Hof.
Es war ein stürmischer Tag, als ich Anna traf, bleich und gebeugt. Besorgt erkundigte ich mich nach der Ursache und sie sagte mir, dass ihr Hund Loui wieder schwer mit seiner Arthrose zu tun hat, sie zum Tierarzt hat gehen müssen und das gleich nach der Nachtschicht.
Ich aber spürte, da war noch etwas und ich stellte spontan die Frage: "Wo ist die Katze?"
Da erzählte sie mir unter Tränen, dass sie vom Dienst gekommen sei und das Kätzchen tot ganz in der Nähe der Haltestelle gefunden wurde. Statt dort zu warten auf Anna, wie immer, sei sie wahrscheinlich aufwirbelnden Blättern nachgejagt und von einem Fahrzeug erfasst worden.
Unter einem Tränenausbruch hatte Anna ihren Schwager angerufen, er möge mit einer Decke kommen, das Kätzchen aufheben und in ihrem Garten begraben.
Bleibt zu sagen, dass man immer im Sinne eines Tieres handeln muss.
Annas Egoismus, eine liebreizende Begleiterin zu haben.., von einem morgendlichen Schnurren begrüßt zu werden, ohne die Gefahren eines verkehrsdichten Gebietes zu erkennen und ohne Vorsorge zu treffen hinsichtlich eines kommenden Winters für ein junges Hauskätzchen, wurde bitter bestraft.
Erika (Sonntag, 03 Dezember 2017 11:08)
Ein klug geschriebener Einblick in das komplizierte Verhalten von Mensch und Haustier. Hilfsbereitschaft, die sich als Egoismus erweist mit leider traurigem Ende. Marion stand ueber allem, sie hatte katzengerechtere Ideen, welche der Katze ein laengeres Leben beschieden haette.
Eva Schmelzer (Samstag, 02 Dezember 2017 13:26)
Ich kenne nicht viele Menschen mit so viel Einfühlungsvermögen wie Marion und auch, ihre Empfindungen in Worte zu fassen, sehr spürbar auch in ihren Gedichten.
Flitzis Geschichte macht sehr gut den Zwiespalt deutlich, in dem sich viele Menschen befinden, wenn sie ihre persönlichen Belange nicht recht mit denen des Tieres abwägen können. Die arme Anna und vor allem das Kätzchen mussten diese fehlende Einsicht bitter bezahlen.